Als leidenschaftlicher Filmfan vermisse ich manchmal die Zeiten, in denen man noch unbeeinflusst vom heutigen Werbematerial ins Kino gehen und von Filmhandlung, Schauspielperformance und Gastauftritten überrascht werden konnte. Durch das World Wide Web und damit YouTube, internationale Filmforen und etlichen Profi- und Amateurkritikern, kommt man im Jahr 2016 bereits vor dem offiziellen Bundesstart schlecht um die öffentliche Meinung eines Films herum. Dass jede noch so kleine Trailerszene im Netz analysiert und auseinandergenommen wird, verdirbt einem, in Kombination mit verantwortungslosen Marketing-Chefs (die sogar nicht davor zurückschrecken den letzten Shot eines Films im Trailer zu verwursten), nicht nur als Zuschauer den Kinobesuch, sondern beeinflusst inzwischen auch das Medium Film an sich. Die Zeiten sind vorbei, in denen der Vermarktung um Merchandise Artikel und Werbedeals ein möglichst guter Film voranging. Das Kalkül mit welchem George Lucas unzählige verschiedene Raumschiffe, Alienrassen und futuristische Geräte in seinen neuen Star Wars Episoden bewarb (und damit auch deren real existierende Merchandise Produkte), ist nach dem aktuellen Comicuniversum-Booms in DCs neustem Film gemündet: Suicide Squad ist anstelle eines innovativen Films ein einziger 90-minütiger Werbetrailer geworden.
Auftragskiller Deadshot (Will Smith), Drogenkartellmexikaner El Diablo (Jay Hernandez) und Jokers Freundin Harley Quinn (Margot Robbie) sitzen in einem unterirdischen Geheimgefängnis fest und werden mit einer Hand voll anderer Insassen von der gefühlskalten Regierungsagentin Amanda Waller (Viola Davis) für ein Selbstmordkommando rekrutiert: Enchantress, ein übernatürliches Wesen, was ebenfalls von Waller für Regierungszwecke benutzt werden sollte, bringt die Apokalypse in eine amerikanische Großstadt – austauschbare Monsterzombies und ein in die Wolken ragender Lichtstrahl, der den Weltuntergang verkündet, inklusive. Der frisch gegründete Suicide Squad soll nun ihre eigene Chefin aus einem Hochhaus retten und sicher aus der Stadt eskortieren.
Die grade wiedergegebene Grundgeschichte ist im fertigen Film leider so wirr erzählt, dass ich wirklich Mühe hatte sie zusammenzufassen. Deswegen an dieser Stelle ein Video, welches den Inhalt des Films und meine Gedanken dazu treffend zusammenfasst:
[wpdevart_youtube]PMNFaAUs2mo?t=17s[/wpdevart_youtube]
Abseits des Hin- und Herteleportieren der Bösewichtin, doppelten Rückblicken und widersprüchlichen Szenen, kommuniziert das Drehbuch anfangs überhaupt nicht, wen die ungleiche Truppe nun in der besagten Stadt retten soll. Als dann wenig spektakulär „enthüllt“ wird, dass ihre Rettungsmission Amanda Waller gilt, sind zwar die Filmfiguren beeindruckt, der Zuschauer kann aufgrund dem nicht vorhandenen Gewicht von Viola Davis Figur jedoch nur mit den Schultern zucken. Dass Amanda Waller dann keinen Meter vom zu Hilfe kommenden Squad eskortiert wird, sondern an der Spitze des Hochhauses einfach in einen Helikopter steigt, ist ein Beispiel für das nicht zu Ende gedachte Drehbuch. Und als wäre eine grundlegend schlecht geschriebene Geschichte nicht schon schlimm genug, merkt man Suicide Squad an, dass das Produktionsstudio Warner Brothers nach Drehschluss im Schneideraum noch jede Menge Damage Control und Tonänderungen vorgenommen hat.
Das Drama hinter den Kulissen des Films wurde erst kürzlich von dem amerikanischen Filmmagazin Hollywood Reporter enthüllt: Nachdem der Popmusiklastige spaßigere Suicide Squad Trailer besser beim Zielpublikum ankam, als eine vorherigere, düstere Vorschau auf den Film, entschieden sich die Filmproduzenten kurzerhand die verantwortliche Trailer-Marketing-Agentur mit einer zweiten Schnittversion des Films zu beauftragen. Kein Wunder also, dass, trotz des in den Credits vermerkten ausgezeichneten Cutters John Gilroy (Warrior, Nightcrawler), der Schnitt des Films grauenhaft ist. Abgesehen von bewegungstechnischen Ungereimtheiten (jemand fällt mehrere Meter rückwärts gen Boden und landet im nächsten Schnitt sanft auf den Füßchen) gibt es keine Szene in der dem Zuschauer keine unschönen „erklärenden“ Zwischencuts auffallen werden.
Ein Beispiel für eine last minute 180-Grad-Wende: Trotzdem Jared Letos Joker im Vergleich zu Once-in-a- lifetime-Performances von Jack Nicholson und Heath Ledger eine sehr flache Darstellung des beliebtesten Bösewicht der Comicgeschichte ist, gehören seine Szenen mit Freundin Harley Quinn zu den Highlights des Films. Schade nur, dass Produzenten und nachträgliche Cutter David Ayers ursprüngliche Vision eines Missbrauchverhältnisses des Paares als zu düster empfanden und Kernszenen der Figuren komplett umgeschnitten haben. Anstatt dass der Joker Harley in einer bestimmten Szene töten will, wird es in der Kinoversion so dargestellt, als ob er sie vom Tod retten würde. Diese Schizophrenie der Filmphilosophien zieht sich durch das gesamte Projekt. Die ersten 30 Minuten von Suicide Squad hangeln sich von Popsongmontage zu Popsongmontage (8 Songs in den ersten 14 Filmminuten). Die Musik ist so sehr auf das Leinwandgeschehen angepasst, dass es so scheint, als ob der jeweilige Popsong des offiziellen Albums diegetisch über die Lautsprecher des Sicherheitsgefängnisses abgespielt wird. Nach dieser gestelzten Einleitung, die man sich entweder von Amanda Waller durch (ebenfalls von Popsongs untermalten) Flashbacks erklären lässt oder sich den erwähnten Montagen behilft, versucht sich Suicide Squad auf biegen und brechen in die Popkultur und Memewelt von 9gag und Co. zu verewigen: Sinnlose, aneinandergereihte Actionszenen, in denen das Squad gesichtslose Zombiewesen ins Jenseits befördert, dienen als Plattform für „spaßige“ Momente abseits der langweiligen Baller- und Klopporgie: Captain Boomerang macht sich ein Bier auf, Harley Quinn schreibt in einem Fahrstuhl SMS, während sie attackiert wird und Deadshot darf in Zeitlupe einen Revolver fangen. Wenn man sich den filmischen Rahmen einmal weg denkt, könnte man für einen kurzen Moment denken, die gerade gezeigte Szene könnte wirklich funktionieren. Wenn das Selbstmordkommando beispielsweise demoralisiert in einer verlassenen Bar auf ihre gemeinsame bösartige Ader anstößt und danach (selbstverständlich) wieder Mut zum Weitermachen fasst, überzeugen Will Smith, Margot Robbie und Jay Hernandez mit einer schönen Chemie. Denkt man aber für einen kurzen Moment nach, wieso das Team in diesem Moment überhaupt den Elan verloren hat und mit welchem Argument sie jetzt wieder weitermachen, wird einem klar, dass die Motive der Filmfiguren irgendwo zwischen Drehbuch und Cutterraum verloren gegangen sind. Solche Highlight-Szenen bleiben nur Behauptungen, die einen potenziell besseren Film in der Ursprungsvision des Regisseurs erahnen lassen.
Suicide Squad wird durch diese starken Einzelszenen, dem phantastischen Cast und überzeugendem Figurendesign getragen und so vor dem völligen Totalausfall bewahrt. Neben den schon aufgezählten Superstars überraschen besonders die Performances von Jay Hernandez und Jai Cortney (den ich persönlich noch in keinem seiner anderen Filme besonders gut fand). Die kritisierten Popsongmontagen machen ebenso für sich großen Spaß (- sie verderben sich leider durch ihre inflationäre Anzahl untereinander). Besonders das Thema des Joker Paars, ein Mix aus dem Electro-Popsong „Gangsta“ und klassischer Filmuntermalung, geben den Szenen der Figuren einen besonderen Touch. Trotzdessen Suicide Squad von Logiklöchern und unpassenden Momenten gespickt ist, wünscht man sich bereits nach dem Abspann ein Wiedersehen mit den interessanten Filmfiguren und es bleibt zu hoffen, dass Jared Letos Joker in dem geplanten Batman Reboot unter der Regie von Ben Affleck mehr Tiefe und Dialogfinesse spendiert wird.
FAZIT
DCs dritter Versuch eines guten Films in ihrem neuen Comicuniversum ist genauso kläglich gescheitert wie Man of Steel und Batman v Superman. Besonders Fans des letzteren Films, die sich nicht an Drehbuch- und Regie-technischen Ausfällen stören, dürften aber großen Spaß mit Suicide Squad haben. Interessant ist der Film in jedem Fall und wer hat schon etwas gegen einen sehr unterhaltenden Abend mit Will Smith und Margot Robbie?
WERTUNG: 6/10 Kinokatzenpunkten
René war vom Wintersemester 2014 bis Februar 2017 Teil der Redaktion sowie von April 2015 bis Februar 2017 Chefredakteur für den Online-Bereich. Als Spezialist zum Thema Film rief er Ende 2015 die Kultur-Sparte 'KinoKatze' ins Leben.