Wir kennen sie alle: die peinlichen Kondom-meets-Gurke-Vorführungen der eigenen Eltern, die Diagramme und Infoposter im Sexualkundeunterricht. Die Lehre über Sex bedeutet auch immer die Lehre über mögliche Verhütungsmethoden.  

Während in der Generation unserer Mütter und Großmütter die Phrase „Und, nimmst du die Pille?“ noch zum guten Ton gehörte, haben wir mittlerweile eine deutlich größere Auswahl an Verhütungsmitteln. Menschen, die verhüten wollen, bietet sich ein bunter Topf aus Kupferketten und -spiralen, Vaginalringen, Diaphragmen und mehr. Dabei fällt auf: Während die Verhütungsansätze bei Frauen sich in den letzten Jahrzehnten vervielfältigt haben, haben sich die Möglichkeiten für Männer nicht nennenswert erweitert. Kondom oder Sterilisation, that’s it (eher kuriose Ansätze wie der sogenannte „Thermo-Slip“ mal ausgenommen). Die gute alte Rauszieh-Methode wird von einigen Schlingeln zwar immer noch gerne praktiziert, geht jedoch nicht als lupenreine Verhütungsmethode durch. 

Woran genau liegt das? Warum ist die Verhütung in den allermeisten Fällen Frauen- und keine Männersache? Oder anders gefragt: Sollte das nicht auch Männersache sein? Die Gründe lassen sich in der Struktur unserer Gesellschaft suchen, in unserem systemischen Sexismus, den wir auch im dritten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts noch nicht überwunden haben. 

Die denkbar einfachste Antwort auf die Frage nach der Verhütung wäre diese: Männer können und/oder wollen sich nicht um Verhütung kümmern, eben weil uns kaum Möglichkeiten dazu gegeben sind. Ist der Markt tatsächlich zu schläfrig oder zu faul, um alternative Verhütungsmethoden für Männer zu ersinnen? 

Die Pille für den Mann 

Die klare Antwort: Nein. Mangelnder Enthusiasmus kann den Forscher:innen nicht vorgeworfen werden. Schon in den 1950er Jahren wurde mit der Entwicklung eines Präparats begonnen, das als ‚Pille für den Mann’ die hormonelle Verhütung für Männer massentauglich machen sollte. Das ist quasi zeitgleich mit der Pille (für die Frau) geschehen. Seitdem gab es immer wieder Vorstöße für die Entwicklung hormoneller Lösungen, mal als Pille, mal als Spritze, mal als Gel. Die letzte großangelegte Studie zu diesem Thema war eine Kooperation von der Weltgesundheitsorganisation und mehreren namhaften Pharmaunternehmen im Jahr 2006. Ein besonderer Schwerpunkt dieser und vergleichbarer Studien war die Minimierung von Nebenwirkungen. 

Der Testballon lief für insgesamt sechs Jahre. Die Forscher:innen brachen die Studie nach dem Selbstmordversuch eines Probanden ab. Anstatt etwa die Dosierung nachzujustieren, wurde die gesamte Förderung eingestellt, was die Studie effektiv beendete. Auch mit Blick auf die Ausgänge ähnlich gelagerter Untersuchungen bleibt ein fader Beigeschmack. Es hat den Anschein, dass Männer nicht die gleichen Nebenwirkungen in Kauf nehmen wollen, mit denen sich Frauen seit mehreren Jahrzehnten herumschlagen müssen. Für viele von ihnen geht die Verhütung mit Risiken von Depressionen, Übelkeit, Gewichtszunahme und anderem einher. 

Aber auch ganz abseits von dem Gefühls-Argument wirft der Mangel an hormonellen Lösungen für Männer ein Licht auf das Unvermögen unserer Gesellschaft, eine angemessene Alternative für die weibliche Verhütung zu finden. Wenn nirgendwo geforscht wird, wird kein Geld ins System eingebracht. Wo kein Geld da ist, kann auch keine Forschung passieren – ein Teufelskreis. Wir warten auch jetzt noch auf neue Verhütungsmittel für ein männliches Publikum, weil in diesen kein Markt gesehen wird. Die Investor:innen sind augenscheinlich nicht der Meinung, dass entsprechende Produkte tatsächlich nachgefragt würden. Sie spiegeln damit letztlich ein vorherrschendes gesellschaftliches Meinungsbild wider, selbst ohne dieses konkret zu erheben. 

Dem Mann wird es leicht gemacht 

Die Gründe scheinen also grundlegend sozialer Natur zu sein. Eine Spurensuche fällt da nicht schwer: Die Sexualität der Frau wurde über Jahrhunderte und Kulturen hinweg systematisch unterdrückt. Rollenbilder von vor nur wenigen Jahrzehnten spiegeln diesen Umstand wider. Die klassische häusliche Ordnung sieht vor, dass die Frau zu Hause bleibt und sich um den Nachwuchs kümmert, während der Mann den Lebensunterhalt einbringt. Noch bis Mitte des vergangenen Jahrhunderts waren Frauen, die Karriere machen, eine Seltenheit. Die flächendeckende Einführung der Pille in den 60er und 70er Jahren machte so etwas wie eine sexuelle Revolution für die weibliche Bevölkerung überhaupt erst möglich. Jetzt konnten sie darüber entscheiden, ob sie sich an Kinder binden oder eine größere individuelle Freiheit genießen wollten. Es ist also kein Wunder, dass Frauen in unserer Gesellschaft für Themen wie die Verhütung verantwortlich gemacht werden – und sich auch selbst verantwortlicher fühlen. Den Männern war es dagegen vorbehalten, sich ohne ‚Rücksicht’ sexuell ausleben zu können. Solche Muster wurden über dutzende Generationen weitergegeben, oft unbewusst. 

Dass Männer in Sachen Verhütung nach wie vor zu wenig Verantwortung übernehmen, geschieht also in der Regel gar nicht böswillig. Wir Männer sind bequem geworden (bzw. geblieben), das zeigt sich schon im ganz kleinen Rahmen: Nach dem Sex ist es meist die Frau, die im Badezimmer verschwindet, um sich zu säubern; der Mann kann sich dagegen auf die Seite rollen und entspannt einschlafen (queere Beziehungen werden an dieser Stelle einmal ausgeklammert). Und anders als Frauen müssen Männer nicht die körperlichen Auswirkungen einer Schwangerschaft ertragen. Die Frau hat also ein doppeltes Interesse zu verhüten. Es verwundert nicht, dass sie die Verhütung dann auch selbst in die Hand nimmt. Das ist per se nichts Schlechtes. Aber es reicht eben nicht aus. 

Was diese Ausführungen zeigen sollen: Es gibt verschiedene Gründe, warum Verhütung im Jahr 2021 noch immer vornehmlich Frauensache ist. Allzu häufig geht dies auf die fehlende Initiative der Männer zurück – sie sind weniger stark von einer Schwangerschaft betroffen, alte Rollenmuster werden unreflektiert übernommen, eigene Verhütungsmethoden sind rar. Doch gerade in der aktuellen gesellschaftlichen Situation, in der überlieferte ethische und soziale Annahmen vermehrt hinterfragt werden, ist eine solche Initiative wichtig. Es ist für Männer an der Zeit, auch einmal Verantwortung in der Familienplanung zu übernehmen, sich eigenverantwortlich zu Verhütungsmethoden zu informieren. Oder zumindest nicht als selbstverständlich vorauszusetzen, dass die Frauen es schon regeln werden. 

Autor*in

Frederik ist 25 Jahre alt und studiert an der CAU Gegenwartsliteratur und Medienwissenschaft im Master. Er ist seit April 2019 Teil der Redaktion des Albrechts.

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