Dass Frauen nicht jedes Mal beim Sex zum Orgasmus kommen oder nicht immer sofort feucht werden, ist mittlerweile allseits bekannt. Doch dass auch Männer Probleme mit der Erektion oder gar mit dem Orgasmus haben können, wird im besten Fall tabuisiert und im schlimmsten Fall verhöhnt. Dennoch kennen dieses Problem immer mehr Männer – zunehmend auch jüngere.
Simon (Name von der Redaktion geändert) kriegt einfach keinen hoch. Und wenn er dann doch mal steif genug ist, schafft er es allein durch die Penetration nicht, zum Orgasmus zu kommen. Er muss selbst Hand anlegen. Wie Simon geht es laut einer Studie immer mehr jungen Männern: Jeder siebte Mann zwischen 16 und 40 Jahren leidet unter Erektionsstörungen. Ursachen können psychischer und körperlicher Natur sein, wobei laut der Studie 25 Prozent aller Erektionsstörungen von psychischen Faktoren ausgelöst werden.
„Aufgrund meiner Erwartungshaltung und der meines Gegenübers war Sex in der Vergangenheit für mich mit sehr viel Druck verbunden“, erinnert sich Simon zurück. „Ich hatte das Gefühl, der vermeintlichen gesellschaftlichen Norm und den Erwartungen der anderen Person entsprechen zu müssen.“ Die gesellschaftliche Norm, die Simon meint, ist das weitverbreitete Männerbild, nach dem der Mann immer Sex haben will und kann – dass er eine Sexmaschine ist. „Ich habe das Gefühl, es gibt eine allgemeine Erwartungshaltung, nach der ein Mann beim Sex immer abliefern muss. Dass ein ‚richtiger’ Mann immer einen Ständer kriegt, wenn er nur Brüste sieht, er ständig geil ist und immer kommt.“ Dieses Bild vom ‚richtigen’ Mann wird geprägt durch Medien, in denen Männer, die zu früh kommen, gar nicht kommen oder erst gar keinen hochkriegen, als Schwächlinge und Loser porträtiert werden.
Gegenteiliges wird in Pornos dargestellt, in denen der Mann immer und stundenlang kann. Solche Annahmen finden sich auch in der breiten gesellschaftlichen Meinung, wie ein Mann zu sein hat, wieder. Diese Erwartungshaltung führt zu Leistungsdruck und Versagensängsten, die Erektions- und Orgasmusprobleme zur Folge haben können. Eine Abwärtsspirale, die in Simons Fall darin mündete, dass Beziehungen zerbrachen und zu potenziellen Sexualpartner:innen der Kontakt lieber gleich abgebrochen wurde, um nicht zu enttäuschen und nicht enttäuscht zu werden. „Wenn sich schon vor Beginn des eigentlichen Aktes die Gedanken nur noch auf das Geschlechtsteil fokussieren – ‚Hoffentlich wird er dieses Mal hart‘ oder ‚Hoffentlich kann ich heute kommen‘ – dann kann ich es gleich sein lassen, denn dann geht sowieso nichts mehr.“ Für Simon ist es wichtig, über dieses Tabuthema zu sprechen, denn er ist sich sicher, dass sich viele Männer dem in der Gesellschaft integrierten männlichen Ideal nicht gewachsen fühlen und ähnliche Schwierigkeiten wie er haben. „Ich denke, dass die wenigsten Männer offen darüber reden, da sie Angst haben, als schwach und Versager angesehen zu werden.”
Heute hat Simon kaum noch sexuelle Probleme, doch bis dahin war es ein langer Weg. „Ich habe über Jahre und viele gescheiterte Beziehungen hinweg gelernt, mich stückweise mehr und mehr zu öffnen und meine Probleme anzusprechen.“ Offene Gespräche über den von ihm empfundenen Leistungsdruck und seine Versagensängste sorgten schließlich dafür, dass diese immer weniger wurden. „Aber auch der verständnis- und liebevolle Umgang meiner aktuellen Partnerin mit der Thematik half mir sehr.“ Verständnis ist allerdings nicht selbstverständlich. So reagieren viele Frauen mit Lachen und Witzen oder mit Genervtheit. Doch auch Verständnis der Partner:innen ist kein Garant dafür, dass sich nicht hin und wieder Unsicherheiten einschleichen können. „Mein mittlerweile gelassenerer Umgang sorgt dafür, dass ich mich in solchen Momenten besser entspannen, mir selbst den Druck nehmen kann und so die Situation erst gar nicht zu einem Problem wird.“
In Simons Augen können Männer der Problematik nur Herr werden, wenn sie es schaffen, die Anspannung zu lösen und ehrlich damit umzugehen. Auch sollten Männer sich im Klaren sein, dass wenn der:die Sexualpartner:in die Probleme nicht akzeptieren kann, sie:er nicht die richtige Person für eine Langzeitbeziehung ist. „Außerdem ist es wichtig, sich daran zu erinnern, dass man nicht der Einzige ist.“ Und mit einem Augenzwinkern fügt er noch hinzu: „Und wenn Mann dann doch keinen hochkriegt, kann Mann sich ja auch erstmal mehr Zeit nehmen und weiter mit Zunge und Hand zur Tat schreiten.“
Katrina studiert Deutsch und Soziologie an der CAU. Sie ist seit Juli 2020 Teil der ALBRECHT-Redaktion und schreibt hauptsächlich für die Ressorts Hochschule und Gesellschaft. Seit November 2020 unterstützt Katrina das Lektoratsteam und hat außerdem seit März 2021 den Leitungsposten Bild inne.