#Krautschau soll Pflanzenblindheit entgegenwirken

Ein Riss im Asphalt, drei kleine grüne Blätter, die sich rasend schnell verdreifachen. Aus ihrer Mitte sprießt ein Stängel in die Höhe, an dessen Spitze sich schließlich eine gelbe Blüte öffnet. Der Vorgang wiederholt sich unzählige Male, bis die Straße, Hauswände und sogar Autos von einem Blumenmeer bedeckt sind – begleitet von der unverkennbaren Melodie des Löwenzahn-Intros. 

Ganz so sieht die Realität zwar nicht aus, bewegt man sich jedoch mit offenen Augen durch die Stadt, gibt es eine Vielzahl an Pflanzen zu entdecken. Während Bäume und Büsche im Stadtbild schwer zu übersehen sind, sind ihre kleineren Verwandten oft erst bei genauerem Hinsehen zu entdecken. Diesem Phänomen der Pflanzenblindheit möchte die in Deutschland als #Krautschau bekannte Bewegung entgegenwirken.  

Was ist die #Krautschau?

Ihre Wurzeln hat die #Krautschau – ursprünglich #morethanweeds – in Frankreich. Im Jahr 2019 begann der Botaniker Boris Presseq mit der Kreidebeschriftung des kleinen Grüns. Seine vorübergehenden Hinweise wurden anschließend über soziale Netzwerke geteilt und somit zu einem beständigen Teil von #morethanweeds. Immer mehr Pflanzenfreund*innen schließen sich dem Botaniker an und ziehen los, um auf die leicht zu übersehenden Gewächse aufmerksam zu machen.  

Über das gesamte Jahr hinweg sind alle Pflanzenkenner*innen oder diejenigen, die es werden möchten, jeden Alters eingeladen mitzumachen. Um Teil der Aktion zu werden, sind lediglich ein Stück Kreide, ein internetfähiges Smartphone und eine kostenlose Bestimmungsapp wie FloraIncognita oder ObsIdentify notwendig. Schon kann es losgehen: Pflanze bestimmen, mit Kreide beschriften, fotografieren und über soziale Netzwerke mit dem entsprechenden Hashtag teilen – so wird die gut verborgene Kleinstflora gleich auf zwei Wegen ins Scheinwerferlicht gerückt. 

Bild: Helena Koberg

Urbanes Grün mit unglaublichen Eigenschaften

Doch was steckt eigentlich dahinter? Ist das nicht sowieso alles nur unnützes Unkraut? Ganz im Gegenteil, denn die unscheinbaren Gräser, Moose und Kräuter haben regelrechte Superkräfte. Schon ihr Lebensraum verlangt ihnen einiges ab: In den Ritzen und Fugen, Spalten und Rissen, in denen sie wachsen, müssen sie eine beachtliche Trittfestigkeit sowie Hitze- und Trockentoleranz beweisen. Abgesehen von der Selbsterhaltung dienen sie kleinen krabbelnden und kriechenden Tierchen als Lebensraum oder Nahrung. Menschliche Stadtbewohner*innen profitieren ebenfalls von den unauffälligen Gewächsen, beispielsweise binden sie Staub, schützen vor Erosion und kühlen gepflasterte Flächen.  

Mitmachen und Bürgerwissenschaftler*in werden

Seit einigen Jahren finden unter Koordination durch die Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung bundesweite Aktionstage statt, um noch mehr Aufmerksamkeit für die widerstandsfähigen Pflanzen zu schaffen. Dieses Jahr sollen vom 18. bis zum 26. Mai möglichst viele der kleinen Gewächse hervorgehoben werden. Wie bei der City Nature Challenge im April erleben die Beitragenden nicht nur bewusster die Natur in der Stadt, sondern werden gleichzeitig als Bürgerwissenschaftler*innen aktiv. Alle Pflanzenbestimmungen, die innerhalb dieses Zeitraums im Rahmen der #Krautschau mit FloraIncognita gesammelt werden, sollen anschließend durch die Senckenberg Gesellschaft in anonymisierter Form ausgewertet werden. 

Für alle, die nun das Pflanzenfieber gepackt hat, heißt es: Augen auf, Blick nach unten und los! Vom 18. bis zum 26. Mai oder nach Belieben außerhalb des Aktionszeitraums könnt ihr herausfinden, wie viel Natur eigentlich in Kiel steckt. Selbst ohne Bestimmungsapp findet ihr sicherlich zumindest einen Löwenzahn! 

Autor*in

Helena ist 25 Jahre alt und studiert den Master Umweltgeographie und -management. Sie schreibt seit dem Sommersemester 2024 für den ALBRECHT.

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