Häusliche Gewalt in Deutschland

Love Hurts oder Love the way you lie. Die Liste an Liedern über Liebe und Schmerz ist scheinbar endlos. Alle zwei Minuten werden diese Metaphern in Deutschland zur Realität: Es kommt zu häuslicher Gewalt. Das bedeutet, es kommt zu verbalen und physischen Attacken, und sogar Vergewaltigungen. Mentale, körperliche und sexuelle Gewalt, das sind alles Teile häuslicher Gewalt und oft kommt alles zusammen vor. Alle können Opfer werden und der Weg aus einer gewaltsamen Beziehung ist für die Betroffenen meist steinig.  

„Ich lächle, weil ich es überlebt habe.” 

Sogol war selbst vier Jahre lang Opfer häuslicher Gewalt. Was sie erlebt hat, sieht man ihr heute nicht mehr an. Sie ist ein spontaner, offener und zielstrebiger Mensch. Wenn Freund*innen sie besuchen, gibt es meistens etwas Selbstgekochtes zu essen. Sie reist gerne, ist gebildet und weltgewandt. Wer sie nicht kennt, sieht eine starke und selbstbewusste Frau. Sie sagt selbst: „Ich lächle, weil ich es überlebt habe.“ 

Sogol hat sich getraut, ihre Geschichte öffentlich zu machen. Auf Social Media teilte sie Bilder ihrer blauen Flecken und bekam über 200 Antworten von Menschen, die auch Opfer häuslicher Gewalt wurden. Sie liest von Menschen, die jahrelang Gewalterfahrungen in ihren Beziehungen gemacht haben – wie sie. Beim Lesen der Antworten und Kommentare wird ihr bewusst, wie groß das Problem ist. 

Häusliche Gewalt entwickelt sich in einer Gewaltspirale 

Häusliche Gewalt passiert nicht von heute auf morgen. Sie beginnt schleichend. Oft wird Gewalt am Anfang sogar als schmeichelhaft empfunden. Partner*innen fordern aktiv Aufmerksamkeit und Nähe ein. Es beginnt häufig mit Eifersucht, die romantisiert wird. Sie wird als Zeichen dafür gesehen, dass der*die Partner*in einen wirklich liebt. Problematisch wird Eifersucht, sobald die Beziehung aus dem Gleichgewicht kommt. Wenn eine Hierarchie entsteht und der*die eine Partner*in sich über den*die andere*n stellt, ist die Beziehung nicht mehr gesund und die Eifersucht auch nicht mehr harmlos. In derart toxischen Beziehungen werden aus Eifersucht oft herabwürdigende Kommentare gemacht. Danach kommt vielleicht ein Schubser oder eine Ohrfeige und am Ende liegt ein*e Partner*in schwer verletzt im Krankenhaus. Häusliche Gewalt entwickelt sich in einer Eskalationsspirale.  

Die Opfer schämen sich oft dafür, was ihnen passiert und suchen die Schuld bei sich selbst. Es besteht die Hoffnung, dass man weitere gewalttätige Ausbrüche des*der Partner*in eventuell verhindern kann, wenn man das eigene Verhalten ändert. Die Betroffenen passen sich an und machen sich klein. Wer von häuslicher Gewalt betroffen ist, leidet oft still. 

Durchschnittlich braucht eine betroffene Person sieben Anläufe, bis sie endgültig geht.  

Sogols Weg aus der häuslichen Gewalt war sehr lang. Nachdem sie einmal den Mut aufgebracht hatte, ihren Ex-Partner anzuzeigen, stand sie in Hamburg vor einem Frauenhaus. Aber das schickte sie weg, es war überfüllt. „Ich glaube, das war einer meiner schlimmsten Momente, weil ich ja dann wieder zurück in meine Situation musste, zurück zu meinem gewalttätigen Partner“. Sogol hatte in der Nacht keine andere Möglichkeit, wo anders zu schlafen, als bei ihrem gewalttätigen Partner.  

Wie Sogol gehen viele Opfer häuslicher Gewalt zu ihren gewalttätigen Partner*innen zurück. Durchschnittlich braucht eine betroffene Person sieben Anläufe, bis sie den*die Partner*in endgültig verlässt. Die Gründe zum*r gewalttätigen Partner*in zurück zu kehren sind vielfältig:emotionale Abhängigkeit, fehlendes Selbstbewusstsein oder einfach keine finanzielle Mittel. Menschen, die in der Beziehung Gewalt ausüben, sind sehr gut darin, ihre*n Partner*in sozial zu isolieren. Die Betroffenen werden in eine Abhängigkeit gedrängt, aus der sie sich am Ende der Beziehung erst einmal herauskämpfen müssen. 

Auch online fand Sogol keine Hilfe. Sie stieß bei ihrer Suche auf veraltete Links und Notrufhotlines waren nicht erreichbar. Ihr erstes Verfahren gegen ihren Ex-Partner wurde eingestellt, weil es keine gerichtsfesten Beweise für die häusliche Gewalt gab. Auf den Fotos fehlte ein Maßstab. Das war für sie eine schwere Niederlage.  

My protectify will Betroffenen mit moderner Technologie helfen 

Aber Sogol ist auch zielstrebig und stur. Sie gab nicht auf und arbeitete an ihrem Start-Up my protectify. Damit möchte sie mit modernen Technologien Betroffenen helfen. Konkret arbeitet das Start-Up an einem KI-Chatbot, der Opfern sofort und anonym Informationen zur Verfügung stellen soll. Der Chatbot soll 24/7 erreichbar sein und immer aktuelle Informationen zu Hilfsangeboten liefern. Und das ist Sogol besonders wichtig: Nicht nur auf Deutsch oder Englisch, sondern in allen Sprachen, die in Deutschland gesprochen werden. Das niedrigschwellige Angebot soll es Opfern leichter machen, Hilfe zu bekommen und dazu führen, dass es nicht mehr sieben Anläufe braucht, bis die Betroffenen sich endgültig trennen.  

My protectify soll außerdem eine Community für Betroffene bieten. Das Start-Up will nicht nur eine Plattform für Sogols Geschichte sein, sondern eine Plattform für andere Betroffene bieten.  Die Plattform möchte häusliche Gewalt sichtbar machen. Betroffene sollen über das reden, was ihnen passiert ist.  

Und Sogol möchte mit ihrem Start-Up vor allem in die Prävention gehen. Sie möchte Menschen darüber aufklären, dass Liebe eben keine Schmerzen zufügt. Dass Schläge und blaue Flecken kein Zeichen von Liebe sind, sondern Straftaten, auch wenn der*die Täter*in der*die eigene Partner*in ist. Denn eine Beziehung sollte dafür da sein, sich gegenseitig Halt und Geborgenheit zu bieten. „Love doesn’t hurt“. 

My protectify ist gerade noch im Aufbau und sucht Unterstützer*innen für den Gründungsprozess. Solltet ihr selbst von häuslicher Gewalt oder Gewalt egal welcher Art betroffen sein, gibt es an der CAU die Beratung für Studierende mit Gewalterfahrungen (Basta). E-Mail: basta@asta.uni-kiel.de. Telefon: 0160 / 95676434 

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