Die »diskutable Persönlichkeit« Prof. Wilhelm Hallermann

In diesem Artikel ist die Rede von Nationalsozialismus, Mord an Minderheiten und von Konzentrationslagern.  

Prof. Dr. med. Wilhelm Karl Friedrich Hallermann legte 1925 sein Staatsexamen in Medizin ab und hatte seit 1941 eine Stelle an der Christian-Albrechts-Universität. Er war unter anderem Dekan, Prodekan und Senatsmitglied für die Medizinische Fakultät der CAU und trug vor allem für die Lehre von Gerichtlicher und Sozialer Medizin die Verantwortung. Seit 1946 hatte er die Leitung über das Kieler Studentenwerk inne, bis er 1969 in den Ruhestand ging und 1975 schließlich verstarb. Er war sowohl für die Uni als auch für das Studentenwerk eine wichtige Persönlichkeit und wenn man sich nur über den groben Lebenslauf seiner Person informiert, scheint es gar nicht so abwegig, auch ein Studentenheim nach ihm zu benennen. Warum also nicht? 

Wer in Geschichte aufgepasst hat und nicht unter einem Stein lebt, weiß in welcher Zeit wir uns gedanklich befinden; in der Zeit des Nationalsozialismus, des Holocausts und der ›Euthanasie‹-Morde. Euthanasie ist für Schweizer*innen sowas wie die legale Sterbehilfe, im Nationalsozialismus und dessen Vokabular heißt Euthanasie jedoch etwas ganz anderes; es soll so viel wie ›Guter Tod‹ bedeuten und bezeichnet das – von Adolf Hitler indirekt legitimierte – (häufig chemische) Töten von Menschen mit Behinderung und von ›(Geistes-)Kranken‹. Die Bezeichnung einer ›kranken‹ Person wurde hierbei häufig subjektiv ausgelegt, sodass beispielsweise auch viele homosexuelle Menschen durch Euthanasie den Tod fanden. 

Fragwürdiges Wirken in Kiel 

Hallermann war Mitglied im Nationalsozialistischen-Dozentenbund, dessen Zweck die politische Einflussnahme und Kontrolle über Lehrinhalte und die Universitätssysteme war. Er war Mitglied in der Sturmabteilung (SA), der paramilitärischen ›Ordnungstruppe‹, die es schon seit der Weimarer Republik gab und später als ›Hilfspolizei‹ galt. Hallermann war auch Mitglied der NSDAP – bis hierhin ist das kein besonders außergewöhnlicher Lebenslauf für einen Akademiker seiner Zeit, aber an dieser Stelle sollte der Name Hallermann schon als ungeeignet für die Benennung eines Studentenwohnheims scheinen.  

Er war zur Zeit des Nationalsozialismus Gerichtsmediziner am Sondergericht Kiel und man findet seine Unterschrift auf mehr als der Hälfte der psychiatrischen Gutachten, von denen er die meisten auch selbst verfasste. Er hatte schlussendlich die Aufgabe, über die Zurechnungsfähigkeit von Straftäter*innen, über Entmündigung und Anstaltseinweisung, also die Einweisung in eine psychiatrische Anstalt, und über vieles mehr Gutachten zu schreiben, an die sich in den meisten Fällen gehalten wurde. Die Fälle, in denen er Urteile, Gutachten und Empfehlungen verfasste, waren häufig Vergehen gegen die ›Heimtückeverordnung‹ (missbräuchliche Nutzung von bspw. Uniformen), Diebstahl und Mord. Von den 97 Personen, die von Hallermann begutachtet wurden, wurden vier freigesprochen, elf zum Tod verurteilt, und jeweils sieben zu Anstaltseinweisungen und Sicherheitsverwahrungen verurteilt. 

Zusammengefasst lässt sich nach dem Lesen einiger seiner Urteile und gerichtlichen Empfehlungen sagen, dass Hallermann sich strikt an das Gesetz des Nationalsozialistischen Deutschlands hielt und es somit definitiv legitimierte. Ihm wird außerdem nachgesagt, viele seiner Urteile weniger objektiv und mehr subjektiv gestaltet zu haben und in den Fällen gegen die Heimtückeverordnung sogar eher gegen die Angeklagten gearbeitet zu haben, anstatt für eine Strafmilderung sorgen zu wollen. Dies tat er, indem er beispielsweise Dokumente zurückhielt oder wichtige Tatsachen, die den Fall anders entschieden hätten, nicht erwähnte. Diese Informationen stammen aus dem Dokument von Uli Poppe, welches auch schon vom StuPA für seine Stellungnahme verwendet wurde. 

Euthanasie und Werner Heyde – oder doch Fritz Sawade? 

So viel zur Person Hallermanns, kommen wir zu Werner Heyde. Er war Gutachter für die Geheime Staatspolizei (Gestapo), welche vor allem für politische Gegner verantwortlich und für ihre brutalen Foltermethoden bekannt war. Dazu war er ein hochrangiges Mitglied in der Schutzstaffel (SS), welche bis heute als die persönliche Leib- und Prügelgarde von Hitler gilt und durch ihre Verhaftungen für unzählige Deportationen von Jüdischen Menschen, Sinti*zze und Rom*nja und »Asoziale« verantwortlich zeigt.

Heyde war Klinikdirektor an der Universität Würzburg und kurzfristig Leiter der Zentraldienststelle T4. Die auch ›Aktion T4‹ genannte Stelle war eine Villa in der Tiergartenstraße 4 in Berlin, die zu einer Anstalt umfunktioniert wurde und für die ›Erwachsenen-Euthanasie‹ (es gab bereits ›Kinder-‹ und ›Häftlings-Euthanasie‹) im Nationalsozialismus diente.  
Er hatte gute Vernetzungen zum Deutschen Roten Kreuz und als er Mitglied der SS wurde, wurde er kurz darauf den SS-Totenkopfverbänden zugewiesen, die die Aufgabe der Bewachung der Konzentrationslager hatten. Heyde hatte den Titel ›Leiter der psychiatrischen Abteilung beim Führer der SS-Totenkopfverbände/Konzentrationslager‹. Dort erstellte er Gutachten für die Gestapo, die zur Entscheidung über Sterilisations- und Kastrationsanträge von Häftlingen beitrugen. 

Heyde wurde zu den Nürnberger Ärzteprozessen geladen, bei denen er erst als Zeuge, kurz darauf aber als Angeklagter vor Gericht stand. Ihm gelang jedoch die Flucht und seine Frau meldete ihn – trotz Kontaktaufnahme von seiner Seite – als verschollen. Er war nun bekannt unter dem Pseudonym Fritz Sawade, unter dem er in Flensburg als Sportarzt praktizierte. Zu diesem Fall und dem Furor um das Entdecken des ehemaligen Nationalsozialisten und seines Pseudonyms gibt es eine Menge Artikel, zwei davon aus dem SPIEGEL-Archiv, die ohne Paywall zugänglich sind: 

  • HEYDE MITWISSER: Die Schatten weichen (Kurzer Aufriss des Falls und Aufzählung aller Personen, die von dem Pseudonym wussten) 
  • Handvoll Asche (Sehr genaues – teils journalistisch ausgeschmücktes – Portrait von Heyde kurz vor den Verhandlungen)  

Was genau hat Heyde mit der Geschichte über das Professor-Hallermann-Haus zu tun? Heyde und Hallermann waren Kommilitonen in Würzburg, legten zusammen das Staatsexamen ab und promovierten gemeinsam. Sie kannten sich. Hallermann galt außerdem mindestens als Mitwisser über die Heyde-Sawade-Affäre. Schließlich lässt sich über Hallermann sagen, dass er tief in den Nationalsozialistischen Staat, sein Gesetz und seine (geheimen) Machenschaften verstrickt war. 

Theater Kiel: ›Lebenswert‹ 

Aber warum soll das Wohnheim jetzt erst umbenannt werden? Letztes Jahr lief im Kieler Theater das Stück »Lebenswert«, in dem es genau um diesen Fall geht: Werner Heyde und seinen Kollegen Werner Catel, die beide Ärzte waren und ihren Sitz in Schleswig-Holstein hatten. Sie entschieden darüber, wer leben durfte und wer nicht und waren treibende Akteure der Euthanasie in Schleswig-Holstein. Die Regisseurin Marie Schwesinger hat für ihr Theaterstück sämtliche Akten über den Fall durchgesehen, die das Landesarchiv für Schleswig-Holstein in Schleswig hergibt. Ihr Sinn hinter dem Stück war, Aufmerksamkeit darauf zu lenken, dass viele Personen und teils mächtige Akteure und Verbrecher der Zeit des Nationalsozialismus, fernab von ihren Verbrechen, positiv im Stadtgedächtnis geblieben sind. Es geht darum, Fragen aufzuwerfen: »Warum heißt mein Wohnheim noch so, wenn dieser Mann vorsätzlich Menschen unter der Nationalsozialistischen Ideologie umbringen lassen hat bzw. eindeutig davon wusste?« 

Stellungnahme des Studentenwerks 

Das Campusradio Kiel forderte bereits am Anfang des Jahres eine Umbenennung des Wohnheims. Am 21. Januar dieses Jahres wurde ein Artikel mit dem Titel »Kieler Studentenheim nach Nazi benannt?« Veröffentlicht, der detailliert genug beschrieb, wer Hallermann war, um das Studentenwerk dazu zu bewegen, zu reagieren. In einer Stellungnahme vom Studierendenparlament vom 29. Juli heißt es nun: »Das Studentenwerk hat gegenüber dem Campusradio Kiel geäußert, dass Wilhelm Hallermann zwar als ›diskutable Persönlichkeit‹ bekannt sei, doch das Ausmaß seiner NS-Belastung bislang nicht klar gewesen wäre. Nun wird auf ein Gutachten der CAU zu Kiel gewartet.« Steht auf der Website des AStA der Uni Kiel. Wann das Gutachten fertig sein soll, wurde noch nicht veröffentlicht. Das Studierendenparlament selbst ist für eine sofortige Umbenennung des Wohnheims. Dann hoffen wir mal, dass dieser Fall nicht nur darin endet, dass immer weiter die Verantwortung auf die nächste Ebene abgewälzt wird, sondern auch weiterhin etwas passiert.

Autor*in
Ressortleitung Gesellschaft

Svea studiert Geschichte und Politikwissenschaft im Profil Fachergänzung. Sie ist seit November 2023 Teil des Albrechts und seit Januar 2024 übernimmt sie die Leitung für den Gesellschaftsteil. Neben Texten über aktuelle Politik, schreibt sie auch sehr gerne über historische Themen.

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