Unabhängige Hochschulzeitung an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel

Bon Iver
Titel: 22, A Million
Label: Jagjaguwar
VÖ: 30. September 2016

Der sich selbst als Gott proklamierende Rapper Kanye West ist zwar nicht unbedingt bekannt für empathische Künstlerkritik (wir erinnern uns an das Taylor Swift-Debakel von 2009), doch er bezeichnete Justin Vernon aka Bon Iver im August dieses Jahres als seinen „favorite living artist“, nicht minder dem Zusatz „I love Justin the way Kanye loves Kanye” – und das ist bekanntlich eine ganze Menge love‘. Hier ist Bon Iver dem Durchschnitt dagegen durch das bescheidenere Skinny Love bekannt, das die britische Jungkünstlerin Birdy 2011 coverte und damit weltberühmt wurde. Der Song stammt von seinem ersten Album For Emma, Forever Ago, das er 2007 nach einigen Schicksalsschlägen isoliert in der Jagdhütte seines Vaters in Wisconsin aufnahm. Dort verfiel Justin Vernon nicht nur der Musik, sondern auch dem Binge-Watching der Serie Northern Exposure, in der beim sich ankündigenden ersten Schnee der Radiomoderator Chris allen einen „Bon hiver“, also guten Winter, wünscht. So ward auch der Künstlername für Vernons Band geboren. For Emma, Forever Ago ist ein Epitom des Indie-Folk, ruhig, akustisch, durchdacht, gefühlsecht und mit Goldstatus in den USA. Das zweite Studioalbum Bon Iver, Bon Iver erhielt 2012 sogar zwei Grammys. Trotzdem wurde es still um den bärtigen Musiker mit dem schütteren Haar.

Im August 2016 dann die Neuigkeit: 22, A Million und damit das dritte Studioalbum kommt! „Over five years have gone by. Thanks for waiting…”, so Bon Iver auf seiner Website. Dieses dritte Album hätte schlecht sein können, ein Abklatsch alter Melancholie, oder ein berechnender Versuch, die Grammy-Hürde erneut zu meistern. Doch Bon Iver löst sich von alledem und kreiert dabei über drei Jahre hinweg ganz nebenbei ein Meisterwerk. Justin Vernon selbst sagt, dass For Emma, Forever Ago ihm als Remedium und zur Verarbeitung diente und dass es in Ordnung sei, traurig zu sein, doch wäre er es nun leid. Auch wenn 22, A Million nicht frei vom „dark stuff and whatever” sei, so ginge es hier doch darum, bombastische, aufregende und neue Dinge entstehen zu lassen und zu mischen – und mehr zu schreien. „Whispering was maybe the thing before.“ 22, A Million ist schon beim Auspacken ein Kunstwerk, vom Cover-Design bis hin zur Titellistung. Piktogramme, Numerologien, und dann der neue Sound. Ja, Bon Iver nutzt Autotune, die Keule der musikalischen Umorientierung, die schon so manche Band ihr Gesicht verlieren ließ, doch macht er sich nicht zum Opfer eines Mainstreams. Sein altbekanntes Falsett nimmt uns mit in schiefe Beats, brummende Lautsprecher und ein Folktronic-Album, dessen Magie sich kaum entrinnen lässt. Da ist ein guter Bon Iver, ein neuer Bon Iver, aber immer noch ein Bon Iver. Kanye hat Recht.

 

 Bannerhintergrund von Markus Spiske, bearbeitet (mlt)

 

Leona ist seit Juni 2014 Teil der Redaktion und war von Dezember 2014 bis Februar 2017 Chefredakteurin der Print-Ausgabe des ALBRECHT. Anschließend leitete sie die Online-Redaktion bis Mitte 2018. Leona studiert Englisch und Französisch an der CAU, schreibt für verschiedene Ressorts der Zeitung und kritisiert Land, Leute, Uni und den Status Quo ebenso gerne wie Platten.

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