Ein Kommentar von René Baltrusch
Das Harry Potter-Fieber ist wieder ausgebrochen! Zusammen mit dem achten Abenteuer The Cursed Child bringt uns 2016 auch einen neuen Film: Fantastic Beasts and Where to Find Them (Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind) erzählt von der Zaubererwelt New Yorks in den 1920er Jahren und spielt damit weit vor dem ersten Harry Potter. Der Titel des Films ist dem knapp 100-seitigen Spin-Off-Taschenbuch aus der Feder J.K. Rowlings nachempfunden und natürlich soll es nicht nur einen einzelnen Tierwesen-Film geben sondern gleich fünf. Bis 2024 wird nun alle zwei Jahre ein Harry Potter-Ableger den Weihnachtsumsatz von Warner Bros. Entertainment anheizen. Mit voraussichtlich 2016, 2018, 2020, 2022 und 2024 hat sich der Filmvertrieb taktisch klug genau die Jahre für seine Blockbuster ausgesucht, in denen keine neuen Star Wars-Episoden in die Kinos kommen. Disneys Zweijahresrhythmus der Star Wars-Hauptstoryline Episoden 8, 9, und sicherlich folgend auch 10 bis 20, war dem Unternehmen in Anbetracht des teuren Lizenzkaufs von vier Milliarden Dollar zu wenig, sodass Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind natürlich trotzdem jedes Jahr einen direkten Kinokassen-Konkurrenten kriegen wird: Sogenannte Star Wars Anthology-Filme sorgen dafür, dass wir von nun an bis zu unserem Lebensende kein Weihnachten mehr ohne einen neuen Star Wars-Film verbringen werden. Die Spin-Offs sind ebenso wie die zukünftig folgenden Fantastic Beasts and Where to Find Them-Streifen in der Vergangenheit (also vor Eine neue Hoffnung) angesiedelt, erzählen beispielsweise in diesem Jahr von dem Diebstahl der Todessternpläne und sollen sich in den nächsten Jahren jungen Versionen altbekannter Charaktere wie Han Solo oder Kopfgeldjäger Boba Fett widmen. Diese Ansätze können leicht zu wahnwitzigen Prequel-Ideen führen, wie zum Beispiel Yoda: The First Jedi oder Fresh Dumbledore: Origins.
Tatsächlich wird zurzeit gerüchteweise an der Vorgeschichte zu Stirb Langsam-Cop John McClane alias Bruce Willis gearbeitet, die schon vom Konzept des Urfilms her keinen Sinn ergibt. Das Medium Film war immer schon zu einem wesentlichen Teil Kommerz – wenn eine Produktion keine Zuschauer ins Kino lockt und somit an der Kasse kein Geld einspielt, hat der Film natürlich etwas falsch gemacht und keine Daseinsberechtigung. Trotzdem stellt sich die Frage, wie es zu der heutigen Fließbandproduktion von Franchisefilmen à la Harry Potter, Star Wars und Co. kommen konnte.
Der Ursprung des Fortsetzungswahns liegt eigentlich im Genre der Monster- beziehungsweise Horrorfilme. Fortsetzungsrekordhalter ist mit Abstand das japanische Kultmonster Godzilla (1954 bis heute 30 Filme). Neben Kultreihen wie James Bond (24) oder Star Trek (13) kommen dann auch schon Horrorfilmreihen wie Freitag der 13. (elf), Hellraiser (neun), Nightmare on Elm Street (neun) und Halloween (neun). Die einleuchtendste Erklärung für diese Fortsetzungsmengen ist das geringe Budget von Horrorstreifen, was heutzutage mit billigen Found Footage-Filmen auf die Spitze getrieben wird. Ebenso ist schon seit Beginn des Genres stetig ein Abnehmer für Horrorfilme vorhanden: Junge Erwachsene oder Jugendliche, die ihre Grenzen austesten oder ihr Date mit einer starken Schulter vor dem Schrecken auf der Leinwand beschützen möchten. Der Anspruch dieses Publikums ist allein wegen der geringen Lebens- und Filmerfahrung nicht so hoch. Und ob man nun eine bestimmte Horrormarke mag oder einem der Inhalt des Filmes egal ist und man einfach nur einen beliebigen Genreableger sehen möchte: Wiederholungen und Unoriginalität, wie die immer gleichen Jump-Scares, werden vom Kinopublikum akzeptiert, wenn nicht sogar erwartet. Horrorfilme waren es übrigens auch, die regelmäßige Prequels (filmische Vorgeschichten) ihrer Hauptfiguren produziert haben – einerseits aus Ideenlosigkeit, andererseits in der Hoffnung, eine Reihe nach unzähligen Fortsetzungen wieder frisch und neu erscheinen zu lassen.
Mit dem filmischen Superheldenboom der Jahrtausendwende, projizierte sich dieser Fortsetzungswahn trotz der deutlich teureren Machart auch auf Comicverfilmungen – nach drei Spiderman- und fünf X-Men-Filmen läuteten die Marvel Studios 2008 das Zeitalter der filmischen Planwirtschaft ein: Pro Jahr zwei bis drei Heldenfilme, bis ins Jahr 2020 fest datiert. Die sogenannte Phase 1 (2008 bis 2012) umfasste mit Iron Man, Thor und Captain America Einzelfilme, die in einem zusammenschließenden Finale endeten, für das sich sämtliche Helden gegen eine gemeinsame Bedrohung zusammenschlossen. Der erste Film dieser ‚Phasenabschlüsse‘, The Avengers (2012), nahm 1,5 Milliarden Dollar ein und zwang somit auch DC Comics (Batman, Superman, Suicide Squad), Disney mit Star Wars und Warner Bros. Entertainment mit Harry Potter auf den Zug aufzuspringen, ihre Fans fortan mit einem niemals enden wollenden, regelmäßigen Nachschub ihrer Filmreihen zu versorgen.
Die Transformers- und Avatar-Rechteinhaber werkeln natürlich auch schon an einer Armada an zusammenhängenden Filmen als stetige Einnahmequelle für die nächsten Kinojahrzehnte. Der Kreis schließt sich 2017, wenn ein Reboot von Die Mumie in die Kinos kommt, welches ein ‚Shared Monster Universe‘ um Dracula, Van Helsing, Frankenstein, Werwölfen und Dr. Jekyll und Mr. Hyde einleiten soll (Besetzung: Tom Cruise, Russell Crowe, Johnny Depp, Javier Bardem). Bei dieser sich anbahnenden Schlacht der Superfranchises ist es fast schon löblich, dass sich die James Bond- und Mission Impossible-Produktionsstudios drei bis vier Jahre Zeit nehmen, einen neuen Ableger zu produzieren. Es bleibt nur zu hoffen, dass wir in Zukunft auf Moneypenny oder Bond Spin-Offs verzichten dürfen und das Kinopublikum nach fünf Phantastische Tierwesen-Filmen einigermaßen von Harry Potter gesättigt ist – ohne einen achten Harry Potter-Film im Jahre 2026 könnten wir vielleicht von aufstrebenden Franchise-Wiederbelebungen wie Matrix 4, Indiana Jones 5, Tribute von Panem: The Beginning, Saw 8 oder Zurück in die Zukunft 4 verschont bleiben.
(Titelbild: Warner Bros: Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind. Filmstart: 17.11.2016)
René war vom Wintersemester 2014 bis Februar 2017 Teil der Redaktion sowie von April 2015 bis Februar 2017 Chefredakteur für den Online-Bereich. Als Spezialist zum Thema Film rief er Ende 2015 die Kultur-Sparte 'KinoKatze' ins Leben.