Hauptmanns Die Weber am Kieler Schauspielhaus
In der aktuellen Spielzeit bringt das Schauspielensemble des Theater Kiels das Drama Die Weber nach der 1892 erschienenen Vorlage von Gerhart Hauptmann auf die Drehbühne des Schauspielhauses. Knapp zweieinhalb Stunden harte Kost, die merkbar auf die Seelen des Publikums drückt.
Hauptmann bringt in seinem Werk all die großen Emotionen der wirtschaftlichen und sozialen Unterdrückung einer weitläufigen Bevölkerungsgruppe zu Papier. De Waber, wie der Titel im schlesischen Original lautet, erzählt die Geschehnisse rund um die Weber*innenaufstände Schlesiens Mitte des 19. Jahrhunderts. Auch bildet er die Schere zwischen den Arbeiter*innen in den ehemalig gutbürgerlichen Vierteln, die nun von Armut und Hunger geplagt sind, und den prunkvollen Herrenhäusern ab. Die verarmten Arbeiter*innen wettern gegen die Fabrikant*innen und verlangen, endlich adäquat entlohnt und berücksichtigt zu werden.
Als Regisseur greift Dariusch Yazdkhasti in seiner Inszenierung das Original auf und lässt die ‚Waber’ konsequent Schlesisch sprechen. Das ungewohnte Sprachbild sorgt dafür, dass aus dem Publikum ein leises „Ich verstehe kein Wort“ zu vernehmen ist. Moritz Jäger (Felix Zimmer), welcher vom Militärdienst ins Arbeiter*innenviertel zurückkehrt, hat sich in seiner Lehre beim Rittmeister das feine Sprechen in Hochdeutsch angeeignet, was selbstverständlich auch Fabrikant Dreißiger (Imanuel Humm) und seine Gattin (Ellen Dorn) beherrschen.
Mehr braucht es nicht
Die unruhigen Zeiten, die den Weber*innenaufständen innewohnen, werden von Julia Hattstein perfekt in die Bühnengestaltung überführt. So steht die Drehbühne in dieser Produktion nicht für eine Sekunde still. Die Schauspieler*innen sind ständig in Bewegung und spielen in ungewöhnlicher Weise stets mit Blick in den Zuschauendenraum. Auch Dialoge werden auf diese Weise gebrochen und beide Beteiligte sprechen konsequent gen Publikum.
Das Ensemble spielt mit einem großen weißen Leinentuch, das beweglich ist und die Bühne in der Hälfte teilt. Sie dient auch als ‚Türschwelle’, welche die Darsteller*innen zum Teil durchaus sportlich herausfordert. Bei Szenenwechseln dreht sich das Transparent gewollt mit und gibt so mit jeder Drehung Raum für ein neues Bild. Der wohldurchdachte Einsatz von starken Scheinwerfern zaubert manche Handlungsabschnitte lediglich als Schatten an die Trennwand und lässt die wenigen Weber*innen auf der Bühne als Teil von Massen erscheinen.
In der ersten Hälfte fehlt es dem Ensemble noch an Überzeugung, seine Rollen glaubhaft zu verkörpern. Doch ist einem die Erfahrung erstmal in die Knochen gefahren, überzeugt die zweite Hälfte umso mehr. Die schiere Verzweiflung der Weber*innen, einem Schicksal entgegenzublicken, das in den ärmlichen Hungertod führt, sollte keine Änderungen in Arbeitsleben eintreten, sorgt für Entsetzen. Die Situation auf der Bühne heizt sich auf, bis die Luft förmlich brennt. Und das im wahrsten Sinne des Wortes. Das Stück ist wahrlich keine leichte Kost – bei weitem nicht. Und dennoch oder gerade deshalb ist es sehenswert.
Aber sehen Sie selbst
Wer diese Produktion bisher verpasst hat, erhält zunächst am 17. Mai um 20 Uhr zum letzten Mal die Chance. Bei diesem Termin handelt es sich gleichzeitig um eine Veranstaltung der 8Night des Kieler Theaters. Interessierte erwartet ein reichhaltiges Rahmenprogramm zum Themenkomplex des Werkes, welches von einem Workshop am Nachmittag mit dem Titel Sprache – Aufstand – soziale Ungerechtigkeit über eine Stückeinführung mit Dramaturg Jens Paulsen bis hin zu einem Nachgespräch im Anschluss an die Vorstellung reicht. Studierende und Auszubildende können für lediglich acht Euro ein Ticket für diese besondere Veranstaltung erwerben. Weitere Infos sind unter theater-kiel.de/8night zu finden.
Finn ist seit Februar 2024 Chefredakteur des ALBRECHTs. Zuvor hat er ein Jahr lang das Kulturressort geleitet. Für unser Blatt sitzt er häufig in der Oper, im Theater oder im Konzertsaal. Er studiert Englisch und Geographie auf Lehramt und ist seit dem WiSe 22/23 Teil der Redaktion.