Die Dominosteine. Eigentlich sind die Dominosteine doch ein totsicherer Indikator für bevorstehende Festtage. Sie schreien mich aus jedem Supermarkt förmlich an: „Spare schon mal für Geschenke! Bastel den Adventskalender! Plane die Feiertage entspannter als sonst! Überlege, was du deinem Vater (Freund, Opa oder jedem anderen männlichen Mitglied deiner Familie) schenken kannst!“ Und da es Dominosteine auch schon Ende September gibt, kann ich Weihnachten doch gar nicht verdrängen. Eigentlich. Und trotzdem stehe ich wieder panisch bei Karstadt. In der einen Hand eine Packung Dominosteine als Nervennahrung, in der anderen eine Einkaufsliste für den blöden Adventskalender, den ich alle Jahre wieder eigentlich gar nicht basteln will. Da es schon bald der 2. Advent ist, bekommt meine Familie ihn, wie immer, zu spät. Aber der Adventskalender ist nur die Spitze des Eisberges. Und dieser unheildrohende Eisberg ist auch alles, was metaphorisch zu einem winterlichen Weihnachten in Kiel passt. Im strömenden Regen renne ich, nun bereits kurz nach dem 3. Advent, durch die Innenstadt und versuche, alle Geschenke zu organisieren. Als die Kassiererin meine gigantische Duftkerze (Typ Bratapfel) über das Band zieht, erkenne ich denselben müden, und doch von Panik geprägten Blick, für den ich schon seit Wochen gerügt werde. Besinnliche Adventstage? Gemütliche Kaminabende und heißer Glühwein mit Freunden? Die Person möchte ich sehen, die den ganzen Tag Rolf Zuckowski hört, Kekse backt und sich mit heißem Wein besäuft. Ich bin pleite, esse zu viele Dominosteine und habe keine Zeit, ständig betrunken zu sein. Und auf einmal kann ich sie nachvollziehen, all diese Statistiken über erhöhte Scheidungs- und Trennungsraten nach den Feiertagen – ich bin bestimmt nicht die Einzige, die bei dem Gedanken an Kirchenbesuche, stundenlanges Gekoche und gestresste Familienmitglieder zur Furie wird. Nächstes Jahr, so sage ich mir, achte ich wieder verstärkt auf Dominosteine im September und darauf, sie nicht zu kaufen. Darauf, mir keinen Stress zu machen und dieses Mal wirklich lieber über Weihnachten wegzufahren. Doch wenn ich an die bevorstehenden Feiertage denke, weiß ich, dass ich mich am Heiligen Abend nach gefühlt zwei Dritteln der Weihnachtsgans zurücklehnen und wie jedes Jahr beschließen werde, dass es mir den Stress wert ist.

Autor*in

Johanna schreibt seit Anfang 2015 vornehmlich für das Ressort Gesellschaft. Seit Februar 2017 ist sie Chefredakteurin des ALBRECHT. Sie studiert seit dem Wintersemester 2014 Deutsch und Soziologie an der CAU.

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