Die Probleme der kulturellen Aneignung

Wo hört kultureller Austausch auf und wann fängt kulturelle Aneignung an? Ist der Sinn von Kultur durch das Teilen und das Verwenden kultureller Handlungen nicht auch eine Wertschätzung der anderen Kultur? Warum kulturelle Aneignung nicht ein Trend der ‚cancel culture’ ist, sondern ein ernstes Problem, bei dem besonders zukünftige Lehrer*innen helfen können, hat die Culturitical-Podiumsdiskussion mit D.S. Red Haircrow, eine*r bekannte*n Autor*in, Lehrer*in, Psycholog*in und Regisseur*in, am 3. Mai 2023 vielen klargemacht. 

Kultureller Kolonialismus 

Haircrows neuester Dokumentarfilm Forget Winnetou! Loving in the Wrong Way handelt von der problematischen Romantisierung der indigenen Bevölkerung Amerikas in Deutschland und deren Traumata, verursacht durch kulturelle Aneignung. Dazu zählen zum Beispiel das Verkleiden als indigene Person und Mikroaggressionen wie Kommentare und nonverbale Handlungen im Alltag. Die Ablehnung und das Unverständnis dem Thema gegenüber sind nicht nur in Amerika, sondern auch in Deutschland noch immer immens.  

Wahrscheinlich jede Kultur ist mit Stereotypen behaftet und an Tagen wie Fasching werden diese besonders gerne offen gezeigt. Das Problem, das mit kultureller Aneignung einhergeht, ist, dass nicht alle Kulturen vorteilhafte Stereotype besitzen. Der Film hat gezeigt, dass People of Color und die indigene Bevölkerung dadurch einen schwereren Einstieg ins Berufsleben haben und ihnen gegenüber eine erhöhte Kriminalität herrscht: Native Americans werden auch heute noch bis zu fünf Mal häufiger missbraucht als Menschen mit weißer Hautfarbe. 

Kulturelle Aneignung ist ein Problem, weil sich Menschen oftmals ohne zu fragen die positiven Aspekte einer Kultur herauspicken und beispielsweise Kostüme anziehen. Haircrow hat in der Podiumsdiskussion erklärt, dass schlechte Vorurteile, die mit der Kultur einhergehen, einfach ignoriert werden. Ab dem Zeitpunkt, ab dem die andere Kultur die verkleidete Person nicht mehr interessiert, legt er oder sie die Verkleidung einfach ab und befasst sich nicht mehr mit ihr. Dadurch werden zum Beispiel Native Americans als eindimensionale Karikatur präsentiert. Jemandem ohne zu fragen etwas wegzunehmen wird nicht Wertschätzung, sondern Kolonialismus genannt. 

Begegnungen auf Augenhöhe 

Das Thema erhält in den Medien momentan viel Kritik, da viele nicht akzeptieren wollen, wie problematisch kulturelle Aneignung ist. Die indigene Bevölkerung sieht kulturelle Aneignung eindeutig als Problem, was Grund genug sein sollte, ihre Wünsche zu respektieren. Haircrow findet, dass Vorurteile einen Bildungsprozess der Gesellschaft behindern, was wiederum den Heilungsprozess von Native Americans bezüglich ihrer schweren Vergangenheit mit Kolonialismus verhindert. Haircrow selber war eigentlich an einem Punkt angelangt, wo er*sie nicht mehr mit ‚white people’ über kulturelle Aneignung sprechen wollte, doch nun nach zwei Jahren tritt sie*er zum ersten Mal wieder vor Publikum.  

Wie einen Promi erwartet die Culturitical-Gruppe Haircrow in einem Café in Kiel zum Kennenlernen. Red trägt eine bunte Maske und ist sehr still, beobachtet erstmal die Situation. Nach einiger Zeit weicht der Gast im Gespräch, unter anderem über Zombies und Horrorfilme, aber langsam auf. Auf die zahlreichen Fragen des Publikums antwortet sie*er lebhaft und schlagfertig. 

Jede*r Redner*in ist unterschiedlich, manche zieht es ins Rampenlicht, manche nicht. Red selber weiß, dass er*sie in dem Moment als Projektionsfläche für das Thema der kulturellen Aneignung gilt. Um Red als Native American das Gefühl wahren Interesses an ihrer*seiner Person zu vermitteln, war das Gespräch auf Augenhöhe genauso wichtig wie die darauffolgende Podiumsdiskussion. Interesse sowohl an der bestimmten Kultur als auch an dem Menschen als Individuum ist der Schlüssel.  

Was zukünftige Lehrer*innen tun können 

Ein letzter Tipp von Red an das Publikum, um kulturelle Aneignung in Zukunft zu verringern, war, dass Lehrer*innen als wichtiges Bindeglied zwischen kulturellem Wissen und den Schüler*innen ihren Einfluss nutzen sollten, um ganzheitliche Repräsentationen verschiedener Kulturen zu vermitteln. In Amerika wird die Geschichte der indigenen Bevölkerung so gut wie gar nicht gelehrt, aber auch in Deutschland weisen die Lehrbücher besonders über Native Americans oftmals einen veralteten Wissensstand auf. Lehrer*innen sollten Informationen in Lehrbüchern unbedingt mit aktuellen Informationswebseiten indigener Kulturen vergleichen oder Vertreter*innen der indigenen Kultur wie Haircrow direkt um Material bitten. 

Info Culturitical:

Culturitical ist eine Initiative von Studierenden und Dozierenden der CAU, die Podiumsdiskussionen mit kulturellen Persönlichkeiten vorbereiten. 

Treffen: Jeden Mittwoch 16:15 Uhr bis 17:45 Uhr in der Leibnizstraße 10, R. 201. 

Nächster Talk: Oktober/November 

Autor*in

Laetitia Wendland studiert Anglistik und Germanistik im Profil Fachergänzung und ist seit Februar 2023 beim Albrecht mit dabei.

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