»Falstaff«-Premiere im Kieler Opernhaus
Der Legende nach von seinem Librettisten Arrigo Boito überredet, fertigt Giuseppe Verdi 1893 sein Alterswerk »Falstaff« an. Trotz den vielen Jahren seines Schaffens brachte er mit dem Stück um Sir John Falstaff – einen aus der Zeit gefallenen, alternden Ritter, welcher in der gesellschaftlichen Entwicklung nicht mitziehen möchte und sich in allerhand Liebesaffären und deren Folgen verstrickt – erst die zweite Komödie zu Papier, wobei die erste, »König für einen Tag«, als totaler Flop rezipiert wurde. Falstaff hingegen gilt als eines der populärsten Opernstücke Verdis.
Nun bringt Regisseurin Luise Kautz in Zusammenarbeit mit dem italienischen Dirigenten Francesco Cilluffo das Werk auf die Kieler Opernbühne, wo es am 9. Dezember vor ausverkauftem Haus Premiere feierte. Es ist die fünfte Inszenierung in der Landeshauptstadt. Das Stück orientiert sich an William Shakespeares »Die lustigen Weiber von Windsor« und bugsiert den Stoff in leichter Abwandlung auf die Bühne des Musiktheaters. Musikalisch ziehe Verdi mit »Falstaff« eine Summe seines Gesamtwerkes, so Cilluffo im Vorgespräch.
Sir John Falstaff (Stefano Meo), der seinerzeit schon eine vielbejubelte Nebenrolle in Shakespeares »Heinrich IV.« hatte, dient dieser ‚Commedia lirica‘ als Hauptfigur. Er ist ein abgehalfterter Ritter in Geldnot und schmiedet im Beisein seiner Diener Bardolfo (Konrad Furian) und Pistola (Matteo Maria Ferretti) den Plan, sein Liebesglück bei den wohlhabenden Windsorer Damen Alice Ford (Agnieszka Hauzer) und Meg Page (Ks. Heike Wittlieb) zu versuchen. Leider ist ihm nicht bewusst, dass die Damen beste Freundinnen sind und so fliegen ihm letztlich die gleichlautenden Liebesbriefe an die beiden um die Ohren. Der Damenzirkel entschließt sich, dem aufdringlichen Ritter eine Lektion zu erteilen und ihn auflaufen zu lassen. Das Spiel, in welchem auch Ehemänner und weitere Beteiligte des Hofes eine Rolle spielen, nimmt seinen Lauf und die Intrige bläht sich auf. Eines wird in diesem Stück ganz eindrücklich klar: Das ganze Leben ist Täuschung. Besonders der dritte Akt birgt dahingehend durch seine Abhebung von den ersten beiden Akten gar ein Theaterstück im Theaterstück.
Begeistert von seiner Rückkehr
Mit seinem eindrucksvollem Bariton und doch gewissem Witz tritt Stefano Meo vor das Publikum und begeistert dieses bei seiner Rückkehr ans Kieler Theater. Besonders im Zusammenspiel mit Agnieszka Hauzer, welche einen glockenklaren Sopran offenbart, brillieren die beiden Darsteller*innen. Auch Xenia Cumento und Francesco Lucii dürfen an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben. Sie geben das junge Liebespaar Nannetta, die Tochter von Alice, und Fenton, ein Hofangestellter in Windsor. Mit bezaubernd leichten und langanhaltenden Tönen erquickt Cumento die Zuschauer*innen. Lucii debütiert als kräftiger und doch einfühlsamer Tenor in Kiel und erhebt die junge Beziehung in einen besonderen Stand.
Der industriell wirkende Bühnenhintergrund mit einer eisernen Notausgangstreppe und einem großen Garagentor zum hinteren Teil der Bühne sind maßgeblich für die schnelllebige Anpassbarkeit, die Kautz‘ Inszenierung benötigt. In Valentin Mattkas Bühnenbild werden keine verdunkelten Pausen gebraucht. Stattdessen schieben die als Diener kostümierten Stagehands frei sichtbar die verschiedenen Elemente des Bühnenbilds durch das schwere Tor. So finden ein Wirtshaus, ein Buchhaltungsbüro oder ein Damenzimmer Platz auf der Bühne. Liebevoll hat Julia Schnittger die Figuren ausgestattet: Während Falstaffs Kleidung eindeutig auf seinen rückschrittlichen Verbleib im Elisabethanischen Zeitalter – inklusive kaputter Rüstung und zerschlissener Lederfetzen – hinweist, befinden sich die restlichen Figuren schon eine Epoche weiter in der farbenfrohen gelb-rosa-lila-türkisen Regency.
Auf »Falstaff« müsse sich das Publikum überhaupt nicht vorbereiten, so Cilluffo im Vorgespräch zur Premiere. Die Beteiligten hingegen müssten hoch konzentriert sein, um bei dem großen Spaß, den das Stück in allen hervorrufe, dennoch die Kontrolle zu behalten. Jeder Takt berge eine Veränderung zum Beispiel im Tempo und es gäbe so gut wie keine Verschnaufpausen. Dabei sei das Werk vielschichtiger, als es im ersten Moment scheine, wie Regisseurin Luise Kautz widerum skizziert. Die gestichelte ‚Witzfigur‘ Falstaff steht an der Schwelle zum Altsein und sträubt sich, diese Entwicklung zu akzeptieren. „Doch genau das macht ihn sympathisch“, erzählt Kautz weiter.
Ob das Publikum nun mit Falstaff als Person oder mit der Inszenierung als Ganzes sympathisiert, sei dahingestellt. Jedoch entlohnte es das gesamte Ensemble am Ende des überraschenden Premierenabends verdienterweise mit tosendem Applaus.
Weitere Vorstellungen finden u.a. am 22.12., 06.01., 13.01. und 27.01. jeweils um 19 Uhr statt.
Finn ist seit Februar 2024 Chefredakteur des ALBRECHTs. Zuvor hat er ein Jahr lang das Kulturressort geleitet. Für unser Blatt sitzt er häufig in der Oper, im Theater oder im Konzertsaal. Er studiert Englisch und Geographie auf Lehramt und ist seit dem WiSe 22/23 Teil der Redaktion.