Mithilfe der frisch gegründeten Partei DEMOKRATIE IN BEWEGUNG (DiB) treten Deniz Özkan (23) und Hauke Otto (48) am 6. Mai zur Kommunalwahl in Kiel an. Beruflich arbeitet Hauke Otto als selbstständiger Energieberater, Deniz Özkan studiert an der CAU Pädagogik und Politikwissenschaften.
Wie sieht ein guter Tag für Sie aus?
Deniz Özkan: Ein guter Tag ist für mich ein freier, sonniger Tag ohne Stress und Verpflichtungen, den ich mit meiner Familie am Strand verbringe.
Hauke Otto: Ausgeschlafen aufwachen! In die Morgensonne schauen, mit einem Becher gutem Kaffee frische, saubere Luft tief einatmen und die erste halbe Stunde die Ruhe des Morgens genießen. Wenn in dieser Zeit auch noch Familie und/oder liebe Menschen um mich rum sind und keine schlechten Nachrichten eintreffen, wird der Rest des Tages ein Kinderspiel.
Wer ist Ihr Vorbild?
Özkan: Die stärkste Frau überhaupt für mich: meine Mutter.
Otto: Mein (leider inzwischen verstorbener) Vater. Ein sehr weiser Mann, der zwar keinen Schulabschluss hatte, mich aber alles Wesentliche und wirklich Wichtige für mein Leben gelehrt hat.
Was regt Sie so richtig auf?
Özkan: Ungerechtigkeit. Schon als Kind konnte ich Ungerechtigkeit und unfaire Behandlung nicht ausstehen und heute könnte ich mich richtig darüber aufregen. Was manchmal fast noch schlimmer ist, ist die Ignoranz. Wenn man mit Menschen über Ungerechtigkeiten in unserer Gesellschaft redet oder versucht, sie darauf aufmerksam zu machen, ist die Ignoranz, die manche Menschen aufzeigen, für mich fast noch unerträglicher. Ich versuche momentan in meinem Umfeld so viele Menschen wie es geht darauf aufmerksam zu machen, wie viele Personen unberechtigterweise auf Behindertenparkplätzen parken und warum das nicht richtig ist. Die Diskussionen, die dort entstehen, bringen mich schon an meine persönlichen Grenzen.
Otto: Im wesentlichen Ignoranz und Ungerechtigkeit und der oft inzwischen vollkommen selbstverständliche, teils extreme Egoismus mancher Menschen. Aber auch Zwei-Klassen-Denken auf allen Ebenen. Mann-Frau, Deutsch-„Nicht-Deutsch“, Kinder/Jugendliche-„Erwachsene“. Die Menschen neigen dazu, sich Gruppierungen zuzuordnen, die sie von anderen abgrenzen, sie im besten Fall höher bewerten sollen. Davon müssen wir weg. Wir leben alle in einer Welt. Es ist inzwischen eben nicht mehr egal, ob sprichwörtlich „in China ein Sack Reis umfällt“.
Was hat Sie motiviert in die Lokalpolitik zu gehen?
Özkan: Als ich jünger war, habe ich selbst die Lokalpolitik als unwichtig angesehen. Ich dachte, man könne nur auf Bundesebene etwas verändern. Mit der Zeit habe ich erkannt, wie sehr uns die Entscheidungen auf kommunaler Ebene betreffen und wie wichtig das Engagement dort ist. Fast noch wichtiger als auf Bundesebene. Die Entscheidungen, die im Gemeinderat getroffen werden, betreffen uns direkt und die Auswirkungen spüren wir (sehr schnell) und deutlich. Ich denke, meinen „jugendlichen Wahnsinn“ mit dem Wunsch etwas für die Allgemeinheit zu tun und etwas verbessern zu können, kann ich am ehesten auf kommunaler Ebene ausleben.
Otto: Einer meiner Leitsätze ist: „Wenn du willst, dass es gut wird, mach es selbst!“ Das war vor etwa sieben Jahren der Grund für mich, aktiv zu werden, als wieder einmal eine nur schwer nachvollziehbare Entscheidung des Gemeinderates durch das örtliche Blättchen bekannt gemacht wurde. Ich dachte mir: Da musst du wohl mal schauen, wie solche Entscheidungen zustandekommen und bei Erfordernis eingreifen! Also, Arsch hoch – auch wenn das harte Arbeit ist – und überlegen, wo man was machen kann. Damals hatten sich gerade die Grünen im Ort frisch gegründet, mit denen ich dann tätig wurde. Wir haben den Einzug ins Rathaus mit deutlich über zwanzig Prozent feiern können. Seitdem konnte ich Entscheidungen und Beschlüsse besser nachvollziehen und teils maßgeblich in eine – hoffentlich – bessere Richtung beeinflussen.
Wie vereinbaren Sie Ihr kommunalpolitisches Engagement mit Ihren anderen (beruflichen) Verpflichtungen?
Özkan: Ich denke, für mich ist es entspannter, da ich mehr Zeit investieren kann. Zum Glück hatte ich noch keine Probleme in der Klausurenphase und mit dem Stress, welcher durch das Engagement entsteht.
Otto: Das ist manchmal schwierig und man muss klar festlegen, wie viel Zeit man beruflich oder politisch einplanen kann und will. Daher bin ich froh, dass ich meine bisherige Position als Vorstandsvorsitzender und Leiter der Geschäftsstelle in Kiel in so kompetente Hände übergeben durfte. Somit ergibt sich zukünftig wieder mehr Zeit für Familie und Freizeit. Insgesamt spricht man trotzdem noch von zwölf bis 16 Stunden am Tag, je nach Sitzungsterminen und Wochenendveranstaltungen.
Woher kommen Ihre politischen Haltungen?
Özkan: Meine politischen Haltungen kommen durch meinen Umkreis, die Schule, die Familie und meine Biografie. Geboren bin ich in der Türkei und habe da die ersten zehn Lebensjahre verbracht. Meine Einstellung zu Diskriminierung, Stellung der Frau in der Gesellschaft und Meinungsfreiheit wurde dort geprägt. In Deutschland bin ich in einer offenen Gemeinde großgeworden, die tolerant und grün eingestellt ist. Die Hilfsbereitschaft der Ehrenamtlichen in unseren ersten Jahren in Deutschland und die Aktionen gegen Atomkraftwerke haben mich geprägt. Durch meine Familie habe ich eine sozialistische und soziale Erziehung genossen, die meine Haltung für eine gerechtere Politik geprägt hat. Die ersten schwierigen Jahre in Deutschland haben meine Einstellung für eine sozialere Sozialpolitik beeinflusst. Durch das fortschreitende Alter und die zunehmende Bildung haben sich manche Meinungen verfestigt, andere Haltungen habe ich abgelegt.
Otto: Gefühlt waren die immer schon da. Ich bin als Kind mit vielen Freiheiten auf dem Land auf einem kleinen Hof mit Kleinviehhaltung und Gemüseanbau groß geworden. Meine Eltern waren nicht reich, aber uns ging es insgesamt gut. Meine Schwester und ich wuchsen in einer Art „Selbstversorger“-Haushalt auf. Da lernt man schnell: Wer ernten will, muss vorher etwas säen und pflegen. Dieses ausgewogene Handeln hat sich durch mein ganzes Leben gezogen.
Was ist das beste Buch, das Sie je gelesen haben?
Özkan: Mein kleiner Orangenbaum von José Mauro de Vasconcelos und Der Vorleser von Bernhard Schlink. Die Thriller von Cody McFaden, Stieg Larsson und Dan Brown mit Mindtwist finde ich auch großartig.
Otto: Ich kann nur schwer sagen, welches das beste Buch ist, da lesen und wahrnehmen bei mir durchaus stimmungsabhängig sind. Meine liebsten Bücher – das mag auch daran liegen, dass ich sie unseren Töchtern vorgelesen habe – handelten über Petterson und Findus von Sven Nordqvist. Die beiden Protagonisten weisen so viel Lebensnähe, Wärme und Weisheit im Handeln auf, dass die Geschichten auch viele Erwachsenen ganz gut tun würden. Ganz einfach um mal wieder geerdet zu werden und um das Leben mit einem Schmunzeln betrachten zu können.
Woran denken Sie, wenn Sie nicht einschlafen können?
Özkan: In diesen Situationen reflektiere ich mich gerne selbst und gehe meine Fehler oder Fehlentscheidungen, Sachen die ich gesagt habe und gerne anders ausgedrückt hätte, für das nächste Mal durch.
Otto: Es sind meist die ganz großen Gedanken, die mich nicht einschlafen lassen. Bei beruflichen und politischen Entscheidungen habe ich über die Jahre gelernt, abzuschalten. Solche Dinge sollte man besser bei einem Bier, Kaffee oder Wein mit jemandem ausdiskutieren, von dem man glaubt, er/sie ist garantiert nicht der eigenen Meinung.
Auf welche Erfolge aus Ihrer kommunalpolitischen Laufbahn sind Sie besonders stolz?
Özkan: Bisher kann ich keine richtigen Erfolge wie andere Mitbewerber aufzeigen. Allerdings habe ich mich in meiner Heimatgemeinde im ersten Jugendbeirat engagiert. Ich denke, wir haben der älteren Generationen im Gemeinderat bewiesen, dass auch die Jugend Politik bewusst und verantwortungsvoll gestalten kann.
Otto: Erfolge sind der erdrutschartige erste Wahlerfolg der Orts-Grünen in Schönkirchen mit deutlich über zwanzig Prozent bei der letzten Kommunalwahl, die Gründung von DiB und unser stetiges Wachstum als Landesverband. Mit den Grünen haben wir in Schönkirchen viel bewegt, ich denke, mit DiB haben wir in Kiel viele Möglichkeiten, da wir potentielle politische Kooperationspartner aus anderen Parteien bereits kennengelernt haben.
Was ist – Ihrer Meinung nach – die beste Lösung für die Probleme in unserer Gesellschaft?
Özkan: Akzeptanz, Liebe, Offenheit, Toleranz, Zuhören.
Otto: Da kann ich mich Deniz anschließen. Manchmal wünsche ich mir die naive Sichtweise eines Kindes zurück… Offenheit für Anderes.
Was nimmt – Ihrer Meinung nach – zu viel Raum in der politischen Debatte ein?
Özkan: Das Wort „Flüchtlingskrise“. Die unglaublich selbstlosen, ehrenamtlichen Helfer*innen in Kiel, Flensburg und München haben wunderbar bewiesen, dass es keine Krise gab. Ich kann das Wort an sich nicht ausstehen, da es eine durch die Medien gemachte künstliche Krise darstellt. Wasserknappheit ist eine Krise, die Auseinandersetzungen im Jemen stellen eine Krise dar. Aber Deutschland steckte in keiner „Flüchtlingskrise“. Die dadurch aufgekommenen Debatten am rechten Rand nehmen viel zu viel Raum ein. Dabei gibt es genug krisenähnliche Themen, über die man mehr sprechen müsste, wie zum Beispiel Wohnraumnot.
Otto: Auch die AfD-Diskussion war in der Form wie sie geführt wurde absolut überdimensioniert und überflüssig. Es ist wichtig, solche Fakten wahrzunehmen und darauf zu reagieren, aber die investierten Mühen hätten in anderen Bereichen sicher mehr bewegen können. Anti-Trumpismus, ebenso wie die öffentlich geschürte Angst vor Putin, stellen in meinen Augen ebensolche schwierigen Themen dar. Vieles was wir durch die Medien und Äußerungen aus der Politik erfahren, stellen nur einen kleinen Teil des ganzen Bildes dar. Die Diskussionen und Bedrohungsszenarien reichen jedoch oft für eine ganze Ausstellung.
Wovor fürchten Sie sich am meisten?
Özkan: In der Klausurenphase fürchte ich mich, dass mein Laptop den Geist aufgibt. Meine größte Angst ist der Verlust eines Familienmitglieds.
Otto: Der plötzliche oder absehbare Verlust eines geliebten Menschen natürlich! Aber auch, eines Morgens in dem Wissen aufzuwachen, dass man aus Unwissenheit und Selbstüberschätzung wesentliche Fehler begangen hat und sich alles in den vergangenen Monaten oder Jahren getane als vollkommen falsch herausstellt. Zum Glück verfolgt mich diese Angst jedoch nicht permanent! Ich denke, dass es wesentlich ist, sich diese Möglichkeit immer wieder vor Augen zu führen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Die Fragen wurden per E-Mail an die Gesprächspartner*innen beziehungsweise an die zuständigen Pressesprecher*innen geschickt und schriftlich beantwortet.
Bildquelle: Oliver Franke
Rebecca war von 2014 bis 2019 teil der ALBRECHT-Redaktion. In der Zeit hat sie für ein Jahr das Lektorat geleitet und war ein weiteres Jahr die stellvertretende Chefredakteurin.