‚Looks like shit‘ – Andreas Scheuer nimmt den Kritiker*innen seiner neuen Kampagne die Worte aus dem Mund. Denn das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) hat die Lösung für die hohen Zahlen von verunglückten Radfahrenden gefunden. Gemeinsam mit dem Deutschen Verkehrssicherheitsrat rät das Ministerium, sich für die nächste Fahrt einfach besser einzupacken – zumindest den Kopf. „Helm tragen rettet Leben“ lautet die bahnbrechende Botschaft, für die es halbnackte Models und eine 400 000 Euro teure Plakataktion braucht. Wie Unterwäsche und Helm kombiniert werden sollten oder die schmucke Kopfbedeckung im Bett am besten zur Geltung kommt, zeigen uns Heidis Mädchen. Fragt sich, ob alle Radprofis, die der Kampagne etwas Authentizität hätten schenken können, verhindert waren.
Die Plakataktion fällt gleich zweimal auf den Kopf. Nicht nur wird versäumt, den Helm als sicheren Schutz im STRASSEN-Verkehr zu präsentieren, ganz nebenbei schafft es die Aktion, Sexismus in der Werbung gesellschaftsfähig zu machen.
Ganz offensichtlich liest der Herr Scheuer nicht den ALBRECHT. Ausführliche Artikel zu Sexismus in der Werbung waren gerade in unserer Januarausgabe zu lesen: „Schluss mit sexistischer Kackscheiße“ wurde gefordert. Aber sollte sich unsere Bundesregierung nicht ihrer Vorbildposition bewusst sein? Im Koalitionsvertrag steht immerhin: „In einer offenen, modernen und gleichberechtigten Gesellschaft hat Sexismus keinen Platz“. Trotzdem entschied das BMVI, dass für Helme in Unterwäsche geworben werden müsse. Sexismus zu reduzieren funktioniert übrigens auch nicht, wenn neben einer halbnackten Frau ein halbnackter Mann abgebildet wird. Sehr subtil drückte Annalena Baerbrock (Bündnis 90/Die Grünen) aus, dass vom Verkehrsminister schlicht kein kreativer, intelligenter Vorstoß zu erwarten ist: „Jeder macht Kampagnen auf seinem Niveau“.
Der unzureichenden Eignung Scheuers ist es wohl auch geschuldet, dass hier lediglich ein Schritt unternommen wird, die verwundbaren Verkehrsteilnehmer*innen dicker einzupacken, anstatt die Verkehrssicherheit aktiv zu verbessern. Natürlich, ein Helm kann dein Leben retten und dich vor größeren Verletzungen schützen. Aber der Fahrradklima-Test vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club zeigt, dass sich Radfahrer*innen auf den Straßen nicht sicher fühlen: Das Sicherheitsgefühl wird mit der Schulnote 4,2 und die Fahrradfreundlichkeit mit 3,9 bewertet. Vom Autoverkehr getrennte Radspuren oder verpflichtende Abbiegeassistenten wirken hier effektiver als leichtbekleidet Helme zu präsentieren – auch wenn in Kiel schon mal nackt geradelt wird.
Fazit: Ziel verfehlt. Entgegen Scheuers Auffassung wird nicht über Helme diskutiert, sondern über Sexismus und die Unfähigkeit des Ministers den Radverkehr sicherer und attraktiver zu gestalten. Denn was tatsächlich unter den Hashtag #LooksLikeShit gehört, sind zu schmale oder fehlende Radwege und Straßen mit Löchern und Dellen – hier ist die neu entdeckte Radpolitik des Verkehrsministers im wahrsten Sinne des Wortes noch ausbaufähig.
Alexandra studiert Biochemie und Molekularbiologie. Sie ist seit Oktober 2016 beim Albrecht als Redakteurin aktiv, schreibt über Hochschulforschung oder gibt im Gesellschaftsressort ihre Meinung zum Besten und beim Layout und Design der Zeitung hilft sie gerne aus.