Vor ziemlich genau einem Jahr entschied Ole, dass es vorbei sein sollte. Nach langem Zögern brach er sein BWL-Studium ab. „Vier Semester habe ich gebraucht, um mir selbst einzugestehen, dass ich mit meinem Studium einfach nicht mehr zurechtkomme. Ich hatte keinen Spaß am Stoff, war schlecht organisiert und dann hat mich das Studium einfach überrannt.“ Die erste Reaktion? „Ich habe mich erst mal zu Hause eingeschlossen, alle Anrufe weggedrückt und ein bisschen geheult.“
Dabei ist der heute 23-jährige keineswegs der Einzige, der seine Hochschullaufbahn verfrüht beendet. Bundesweit brechen zirka 21 Prozent aller Studenten ihr Studium vorzeitig ab. Die Gründe hierfür sind vielfältig: Mangelnde Prüfungsleistungen und Überforderung sind der häufigste Auslöser für einen Abbruch. Aber auch Krankheiten, familiäre Probleme oder der Wunsch endlich im „richtigen“ Berufsleben aktiv zu werden, sind ausschlaggebende Faktoren.
Hat die Einführung des Bachelor-Abschlusses also keinerlei positive Wirkung auf die Abbrecherquote gehabt? Um diese Frage zu beantworten, lohnt es sich, die einzelnen Disziplinen separat zu betrachten. Studierende in geistes- und kulturwissenschaftlichen Studiengängen haben offensichtlich von der Bologna-Reform profitiert. Hier lässt sich eine rückläufige Quote an Studienabbrechern feststellen. Es scheint, als habe der Wechsel von viel Gestaltungsfreiheit zu einem System, dass mehr dem der Schule ähnelt, gefruchtet zu haben. Andere Disziplinen, wie vor allem die naturwissenschaftlichen Fächer, haben da deutlich größere Probleme. Hier wird vermutet, dass der sowieso recht anspruchsvolle Stoff zu stark komprimiert wurde, um das Studium wie geplant nach drei Jahren beenden zu können.
Auffällig ist, dass sich seit der Einführung des Bachelors die Gründe, die für einen Studienabbruch aufgeführt werden, deutlich verändert haben. Rund 31 Prozent der Abbrecher geben heute den zu großen Leistungsdruck oder Prüfungsversagen als ausschlaggebende Ursache an. Dies sind beeindruckende elf Prozent mehr, als noch vor der Bologna-Reform.
Für Ole spielte auch die Angst vor Verschuldung eine zentrale Rolle. Zwei Semester, so schätzt er, hätten wohl zusätzlich absolviert werden müssen. Mit einem Kumpel habe er dann einmal durchgerechnet, welche Mehrkosten für ihn entstehen würden. Die Summe, die am Ende doppelt unterstrichen auf dem Zettel stand, habe ihm den letzten Mut genommen, noch einmal durchzustarten. Die Angst vor der Schuldenfalle ist weit verbreitet. So gaben rund ein Viertel aller Studienabbrecher finanzielle Sorgen als Grund für den Abbruch des Studiums an.
Der Schritt, das Studium zu beenden, kostet diejenigen, die es wirklich vorhaben, große Überwindung. Denn der Begriff „Studienabbrecher“ impliziert zweifellos immer auch das Gefühl von Scheitern und Versagen. Zwar werden reflexartig einige prominente Abbrecher wie Bill Gates oder Wolfgang Joop genannt, diese Beispiele entledigen einen jedoch nicht automatisch aller Zukunftssorgen.
Trotzdem ist ein Studienabbruch nicht immer gleichbedeutend mit dem Ende aller beruflichen Träume. An einigen Stellen (wie dem Internetportal studienabbrecher.com) werden Studienabbrecher sogar gezielt umworben. Viele Firmen sehen ein abgebrochenes Studium immerhin als ein Plus an Lebenserfahrung an, die ein Schüler, der gerade erst sein Abitur in der Tasche hat, nicht vorweisen kann. Wenngleich natürlich ein Kandidat mit einem Bachelor- oder Master-Abschluss in aller Regel einen Vorteil genießt.
Aber auch ohne Abschluss, Chancen gibt es immer: „Mir wurde auf meiner Jobsuche immer wieder vorgebetet, dass ein guter Eindruck im Vorstellungsgespräch vieles geraderücken kann“, berichtet auch Ole. Das scheint ihm bei seiner Bewerbung im Hause eines großen deutschen Automobilherstellers recht gut gelungen zu sein. Seit einem halben Jahr macht der ehemalige Student dort eine Ausbildung als Industriekaufmann. Ole gefällt die Ausbildung bis jetzt gut. Er ist noch kein Bill Gates, aber immerhin zufrieden.
Jan war bis 2012 Teil der Redaktion.