Die Geschichte einer Protestaktion als Keimzelle des Aktivismus und Ort der Resignation

„Ich fuhr morgens zur Arbeit, an der Ladenzeile vorbei, und traute meinen Augen nicht.” An einem Freitagmorgen im Februar 2019 wurden im Zuge der Neugestaltung des Ortskerns in Kronshagen elf Bäume gefällt. Damit griffen der Bürgermeister und die Gemeindevertretung eine Natur an, die den Bürger:innen von Kronshagen gehörte, findet Dieter Leptien, der zusammen mit zwei Mitstreiter:innen sofort einen Protest organisierte. Solche Worte klingen sehr groß.

Dabei ist der Skandal, gegen den in den folgenden Monaten etliche Kronshagener:innen protestieren würden, ein ganz kleiner. Das Wort ‚Politischer Aktivismus‘ dagegen schillert in nationalen und globalen Bewegungen mit teilweise abstrakten Zielen wie ‚Menschenwürde‘. Was für eine Geschichte erzählt also nun diese lokale Protestaktion, und wo lässt sie sich zwischen politisch und privat, zwischen konkret und allgemein verorten?  

Protest, sofort!

Die Skepsis der Bewohner:innen wucherte schon Jahre vor den eigentlichen Baumfällungen, als 2015 im Siegerentwurf zur Neugestaltung des Ortskerns nichts mehr von einer zuvor durchgeführten Bürgerbefragung zu finden war. Das änderten auch frühe Einwände nicht mehr. Sechs Jahre später fielen dann zuerst zehn Bäume und einen Tag später die große japanische Zierkirsche auf der Grünfläche vor der kultigen Ladenzeile im Ortskern von Kronshagen. „Da war zuerst einfach diese große Erschütterung über die Brutalität der Fällungen“, sagt Dieter Leptien heute über die tiefe Empörung, die dann den Protest entfachte.

Zwei Tage nach den Fällungen stand er beim Bürgermeister im Büro und forderte fassungslos Erklärungen ein, dann bereiteten er und seine Mitstreiter:innen die Grundlagen für ein Jahr Widerstand. Die Interessengemeinschaft Ortsmitte Kronshagen wurde gegründet, eine Unterschriftenaktion sammelte in wenigen Tagen über 2500 Unterschriften, Dutzende versammelten sich auf der gelichteten Grünfläche zu einer Mahnwache.  

Doch wozu das Ganze?

Aber war das schon politischer Aktivismus: Menschen, die sich darüber beschweren, dass der Baum vor dem örtlichen Buchladen fällt? „Man darf nicht unterschätzen: diese riesige Kirsche vor dem hässlichen Hochhaus war in ihrem Grün und ihrer prächtigen Blüte auch einfach ein stetiges, kleines Glück.“ Vielleicht braucht Protest gar keinen politischen Hintergrund, um trotzdem eine tiefgründige Legitimation zu haben. Dabei hat Dieter Leptien auch versucht, die Geschichte in die große Öffentlichkeit zu tragen. Im Laufe des Jahres erschienen in den Kieler Nachrichten fünf Artikel. Er schrieb an die Landesgrünen, an Greenpeace, an den NABU. „Das war natürlich politisch motiviert von mir.“  

Bäume und Ideale

Doch während Fridays for Future als globale Bewegung explodierte, blieben seine Rufe in die Welt ohne Antwort. Und schließlich schwand auch das lokale Engagement. Leptien und seine Mitstreiter:innen bemühten sich bis ins Frühjahr 2020 um Protest – aber die Fällungen lagen lange zurück, und auf die Grünfläche kamen asphaltierte Wege und ein Brunnen. „Wir merkten: wir gehen den Leuten jetzt langsam auf die Nerven“, sagt er heute. Es waren Fakten geschaffen worden und der Protest verebbte, denn es ging hier nicht primär um Ideale, sondern um Bäume, und die waren und blieben weg. Die Protestaktion, Keimzelle des Aktivismus, wurde zu einer Dystopie gezwungen, gegen die sich Aktivismus eigentlich auflehnt: Resignation. 

Autor*in

Nicholas studiert Deutsch und Philosophie an der CAU. Seit dem Sommersemester '22 erst schreibt er für den Albrecht.

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