Der Winter ist doch noch gekommen. Es ist bitter kalt an jenem 11.Februar 2012, dem weltweiten Aktionstag gegen das umstrittene Handelsabkommen ACTA. Doch sie sind trotzdem gekommen, rund 400 internetbegeisterte Menschen haben sich in Kiel versammelt und wollen gegen neue gesetzliche Regelungen für die Internetnutzung, die die Vorbereitung und Zugriffsrechte von Inhalten terminieren, demonstrieren. Keine Frage, das Internet ist Tummelplatz von diversen Meinungen und Möglichkeiten.
Doch kann es auch Politik? Kann es zwischen Millionen von Blogs und Posts überhaupt einen Konsens finden, eine echte, nachhaltige Bewegung starten? Jedenfalls ist man sich bei ACTA einig. ACTA ist schlecht! Es schränkt die Meinungsfreiheit ein, überwacht und unterdrückt den Raum der unbegrenzten Möglichkeiten. Zuerst muss klargestellt werden: Es gibt bereits bestehende rechtliche Rahmenbedingungen für die Internetnutzung, die auch Eigentums- und Urheberrechte von Inhalten klar bestimmen. Wozu dann noch ACTA? Das Abkommen ist mehr eine Richtlinienentscheidung, als neue staatliche Repression. Es verstärkt vielmehr die internationale Kooperation bei grenzüberstreitender Rechtsverletzung. Denn das Internet ist wie das Wetter, es macht vor Grenzen nicht halt. Eine einheitliche Rechtsprechung bei Internetdelikten war daher bislang schwierig. Das soll ACTA ändern. Das Abkommen zementiert geltendes Recht und sorgt für eine bessere Durchsetzung. Dennoch hat die Debatte eine Grundsatzfrage über Netzpolitik hervorgerufen. Welche Regeln wollen wir für unseren liebsten Spielplatz, dem Internet?
Jeder weiß, wenn ein Inhalt erst einmal im Netz steht, kann er blitzschnell millionenfach auf der ganzen Welt verteilt werden, und zwar kostenlos. Der Ersteller und Urheber des Inhaltes geht nebenbei leer aus und hat kaum Einfluss, die Verteilung zu steuern. Vor allem finanzielle Anreize und Möglichkeiten gehen verloren. Die Qualität der Inhalte schwindet. Und was ist ein Medium ohne Qualität? Aber ein Internet voller Freiheit und kostenlosen Inhalten, das keine Grenzen mehr kennt, bringt auch Vorteile mit sich. Vollkommene Transparenz und Informationsbeschaffung, immer und überall. Die Internetgemeinde diskutiert, natürlich im Internet.
Doch erst einmal wurde ACTA vom Europäischen Parlament an den Europäischen Gerichtshof weitergeleitet. Die Empörungswelle ist abgeschwollen. In circa einem Jahr wird entschieden. War die ganze ACTA Debatte wieder nur ein Zug auf den wir aufgesprungen sind, diskutiert haben, und dann doch wieder abgesprungen sind? Die Frage bleibt: „Kann das Internet, das Forum Romanum unserer Zeit, überhaupt Politik machen, oder verhallt die gemeinsame Stimme schon vorher zwischen all der Schnelligkeit und Diversität des Cyberspace? Dabei gibt es wichtiges zu klären, nämlich die Gestaltung der Zukunft des Internets, und wo geht es eigentlich besser als an einem Ort der Gegenwart, dem Internet?
Richard war bis 2012 Leiter des Kulturressorts.