Ein Kommentar von Leona Sedlaczek
Frauen steht es genauso zu, über ihre Geschlechtsorgane zu sprechen, wie Männern – sie müssen es nur tun
„Peeeenis“, hörten wir es über den Schulhof schallen, als sich die pubertierenden männlichen Wesen unseres Umfeldes ihres Geschlechtsorgans scheinbar zum ersten Mal so richtig bewusst wurden. Peniszeichnungen sollten fortan nicht nur auf Schultafeln, -tischen und Collegeblöcken gefunden werden, sondern auch auf dem Antlitz schlafender Mitschüler, schön fett mit Edding, wann immer Gruppenübernachtungen dies möglich machten. Wir Mädchen haben das manchmal verurteilt, meistens belächelt und ab und zu selbst den Stift in die Hand genommen. Eine Vulva wurde allerdings nie jemandem ins Gesicht gemalt, ob Junge oder Mädchen. Dabei würde sich das doch so gut anbieten, schließlich gibt’s da ja schon diese wunderschönen Lippen, die sich super in eine Zeichnung integrieren ließen.
Tatsächlich ist der Penis in unserer Gesellschaft seit jeher präsenter als die Vulva – sei es in den Medien oder im alltäglichen Sprachgebrauch. Worte wie ‚Schwanzvergleich‘, ‚Penisneid‘ und ‚penisgesteuert‘ haben kein weibliches Äquivalent. Wird im Englischen beispielsweise das vulgäre Wort ‚dick‘ gebraucht, ist normalerweise ein Kerl gemeint, wahlweise grob, machohaft, egoistisch, verachtend, gewaltbereit et cetera. Zwar kommt auch der Begriff ‚Pussy‘ im alltäglichen Sprachgebrauch nicht selten vor, jedoch ist hier jeder und jede gemeint, die ängstlich, schüchtern, empfindlich sind – alles, was nicht harten und somit scheinbar männlichen Eigenschaften entspricht.
Der Duden kennt natürlich das Wort ‚Phallussymbol‘ – ‚Vulvasymbol‘ hat dagegen keinen Eintrag. Phallussymbole sind im Alltag äußerst präsent, lassen sich in Obelisken sehen, in Zucchinis, Gurken, Eis am Stiel, Calippo Cola. Nicht umsonst werden im Sexualunterricht Bananen verwendet, um das Aufziehen von Kondomen zu demonstrieren. Schon in der Schule wurde mit ein bisschen Stöhnen, Augenverdrehen und den richtigen Mund- oder Handbewegungen das unflätige Amusement der Mitmenschen garantiert. Eine äquivalente Frucht zur Darstellung der Vulva gab es nicht, noch hätte sich jemand getraut, einen weiblichen Orgasmus zu mimen.
Vulvasymbole sind zwar ebenso überall zu finden, werden aber meist gekonnt ignoriert. Die Künstlerin Stephanie Sarley löste Empörung und eine zweiwöchige Sperrung ihres Instagram-Accounts aus, als sie im Juni 2015 begann, aufgeschnittene Früchte als Abbild der Vulva zu nutzen. In kurzen Videos streichelt sie Kiwis, Erdbeeren, Blutorangen, Papayas, lässt ihre Finger langsam kreisen und schiebt sie in das triefende Fruchtfleisch – manchmal spritzt es. Es sei ihr wichtig, darzustellen, dass sich für die Vagina nicht geschämt werden müsse und sie erst recht nicht zu behüten, verstecken oder kontrollieren sei. Was beim Spiel mit dem Phallussymbol schon lange akzeptiert ist, muss beim Vulvasymbol erst noch erlernt werden.
Das gilt auch für die vermeintliche Profilierung mittels Geschlechtsorganen: „Robin Thicke has a big dick“ ist ein mildes Beispiel für viele Erwähnungen des männlichen Geschlechtsorganes in der Musikwelt, denn es dient als Statussymbol. Jemandem zu sagen, er hätte einen kleinen Penis, reicht oft schon aus, um ihn in Rage zu versetzen. Die Vermutung liegt nahe, dass klassische Genderstereotype hier eine Rolle spielen. Der Penis steht für die Männlichkeit, ist der Penis klein, scheint der Mann weniger männlich und das ist wiederum negativ konnotiert. Verlust von dieser definierten Männlichkeit scheint noch immer eine der größten Ängste für viele Männer zu sein und ein großes Geschlechtsorgan nach wie vor Aushängeschild für klassisch männlich geprägte Konzepte, wie Überlegenheit und Macht. Beleidigen sich auch Frauen gegenseitig, indem sie sagen, ihre Vulva sei zu klein? Zu ausgeleiert? Oder vielleicht zu trocken? Nein und das klingt auch ziemlich lächerlich. Doch sprechen wir über Gleichberechtigung müssten die Penisbeleidigungen bei Männern entweder genauso lächerlich klingen oder aber die Vulva-Beleidigungen bei Frauen genauso üblich sein wie das jeweilige Äquivalent.
Im Jahre 2016 können wir all diese Fragen zum Glück öffentlich stellen, denn wir reden über Sex – ab einem gewissen Alter sogar ohne Gekicher. Nichtsdestotrotz scheint es nicht nur Männern, sondern auch Frauen deutlich leichter zu fallen, über den Penis zu sprechen als über die Vulva. Menstruation – bäh, ist ja eklig. Das nennen wir mal lieber ‚Erdbeerwoche‘, klingt doch viel schöner. Dabei ist der monatliche Eisprung eine ganz normale weibliche Körperfunktion, ohne die die Menschheit derweilen aussterben würde. Trotzdem gibt es auf diesem Gebiet kaum Innovation: Der Tampon wurde 1931 erfunden, die Menstruationstasse 1937, letztere ist vielen wenn überhaupt erst in den letzten Jahren ein Begriff geworden.
Noch verschwiegener sind wir jedoch, wenn es um weibliche Masturbation geht. Männer polieren das Schwert, wedeln sich einen von der Palme, oder würgen den Jürgen – Frauen knacken maximal die Auster, brauchen aber eigentlich gar keine umgangssprachlichen Formen, denn offiziell masturbiert ja niemand. Die Sexualwissenschaftlerin Anja Drews erklärte dem Online-Magazin Motherboard dazu: „Durch die Erziehung, in der alles gewaschen, geschrubbt und geküsst, nur der kleine Teil zwischen den Oberschenkeln in der liebevollen Beachtung vernachlässigt wird, wird bereits Mädchen ein befremdliches Gefühl gegenüber ihrer Vagina vermittelt.“ Bei Jungen sei die Beschäftigung mit dem Penis dagegen viel selbstverständlicher. Dabei müssen sich auch Frauen für nichts schämen: Die Vulva ist ein wunderschönes Geschlechtsorgan. Sie muss nicht versteckt oder tabuisiert, sondern darf symbolisiert, sprachlich und sexuell genutzt werden. Wir dürfen einander Fragen stellen und über sie reden, mit Frauen sowie Männern. Die Vulva hat es genauso verdient an Toilettentüren zu prangen, oder auf dem Schulhof proklamiert zu werden wie der Penis. Außerdem kann eine Vulven tolle Sachen – wir sagen nur vaginales Gewichtheben.
Leona ist seit Juni 2014 Teil der Redaktion und war von Dezember 2014 bis Februar 2017 Chefredakteurin der Print-Ausgabe des ALBRECHT. Anschließend leitete sie die Online-Redaktion bis Mitte 2018. Leona studiert Englisch und Französisch an der CAU, schreibt für verschiedene Ressorts der Zeitung und kritisiert Land, Leute, Uni und den Status Quo ebenso gerne wie Platten.