Körperliche und mentale Ausdauer lernen im Taekwon-Do-Intensivkurs
Im Interview mit Großmeister Shin-Gyu Kang und seinen Schülern Julius und Gui im Kang-Center berichten die drei über die Leidenschaft für die koreanische Kampfkunst und wie Taekwon-Do sie seit langem begleitet.
DER ALBRECHT: Wie kommt man zum Taekwon-Do und was bedeutet der Sport heute für euch?
GUI: Als ich nach Deutschland gekommen bin, wollte ich gern in einen Sportverein gehen und einen Kampfsport machen. Ich habe in Brasilien schon Judo gemacht, aber das war nicht ganz meins. Eine Freundin aus dem Studium hat mich zum Taekwon-Do-Hochschulsport eingeladen. Am Anfang war ich verwirrt von den Kombinationen und den Bewegungen und meine Koordination war nicht so gut, wie ich dachte. Es gab immer etwas Neues zu lernen und Schwierigkeiten, die man überwinden muss. Deshalb bin ich immer weiter dabei geblieben. Als ich nach Schweden gezogen bin, gab es dort kein traditionelles Taekwon-Do. Shin-Gyu hat mich dann ermutigt, selber eine kleine Gruppe mit Anfängern zu gründen, und das macht echt Spaß.
JULIUS: Angefangen habe ich mit acht Jahren. Ich wollte unbedingt Kampfsport machen. Da ich aber nur eine Niere habe, hat der Arzt gesagt, Boxen oder etwas ähnliches wäre zu gefährlich. Ein Bekannter hat Taekwon-Do gemacht und mir erzählt, dass der Sport ohne Kontakt ist. Das ist ja langweilig, habe ich gesagt, bin aber trotzdem mal hingegangen. Nach der ersten Stunde habe ich geweint, weil ich das alles nicht konnte, dann aber sehr schnell gemerkt, dass ich das alles lernen möchte. Ich wollte immer weiter machen bis zum schwarzen Gürtel. Seit zwei Jahren trage ich den jetzt, aber das ist auch nicht mehr so wichtig wie damals. Der Sport ist als Ausgleich wichtig für mich, man hat alles dabei: Selbstverteidigung, Ausdauer, Fitness.
SHIN-GYU: Julius wird jetzt sogar eine Hochschulsportstunde übernehmen, ist dann also Übungsleiter für Taekwon-Do. Ich selbst bin mit fünf Jahren zum Taekwon-Do gekommen. Im Kindergarten wurde ich gehauenen und dann hat meine Mutter gesagt: Du musst Taekwon-Do lernen! Da stand der Selbstverteidigungsaspekt im Vordergrund. Später war ich auch auf vielen Wettkämpfen, habe auch mal die Deutsche Meisterschaft gewonnen. Aber irgendwann ist das nicht mehr so interessant. Der Fokus liegt dann auf den eigenen Fähigkeiten, auf den eigenen Grenzen. Ich habe dann begriffen, dass Taekwon-Do nicht einfach ein Sport ist, sondern eine Kunst, die einen das ganze Leben lang begleiten kann. So kam es dazu, dass ich Lust hatte, diese Kunst auch zu lehren.
Habt ihr andere Kamfsportarten ausprobiert? Was hat euch trotzdem beim Taekwon-Do gehalten.
SHIN-GYU: Das ist ganz normal, dass die Motivation mal nachlässt. Aber Sport lässt sich wie Musik beschreiben. Wenn man ein Instrument beherrschen möchte, kann man nicht fünf weitere gleichzeitig lernen. Es ist schwer genug, die Techniken für ein Instrument zu lernen. Erst dann kann man Musik spielen. Mein Instrument ist das Taekwon-Do und die Musik, ist die Charaktereigenschaft des Sports. Das gilt für alle anderen Kampfsportarten genauso.
JULIUS: Ich habe ein halbes Jahr lang Thaiboxen gemacht und die Techniken fielen mir durch das Taekwon-Do-Training recht leicht. Es wurde allerdings schnell langweilig und meiner Meinung nach, kann keine andere Kampfsportart, die gleiche Abwechslung bieten wie Taekwon-Do. Deshalb bin ich jetzt seit zwölf Jahren dabei.
SHIN-GYU: Es kommt dabei wahrscheinlich weniger auf den Sport an, als auf den Lehrer. Ich hatte dabei viel Glück, tolle Lehrer zu treffen.
Was macht eurer Meinung nach einen guten Trainer aus?
JULIUS: Er motiviert auf jeden Fall sehr viel, auch wenn es manchmal so rüberkommt, als wenn er einen nur fertigmachen will. Aber das kann Shin-Gyu auch gut einschätzen, auf welche Art er jemanden motivieren kann.
GYU: Ich glaube, dass Shin-Gyu ein gutes Auge für jeden seiner Schüler hat.
Shin-Gyu, inwiefern ist die Motivation, die du durch deine Trainer erfahren hast, der Grundstein für das Taekwon-Do-Center?
SHIN-GYU: Erstmal habe ich im Hochschulsport in Kiel angefangen. Das war zu der Zeit als ich hier Physik studiert habe. Wenn man studiert, hat man immer Ausreden. Deshalb habe ich mir einen festen Termin in der Woche gesucht. Und wenn ich selber Training gebe, muss ich da hin. Dann haben sich immer mehr Leute dafür begeistert und irgendwann war fast jeden Tag Training in der Uni. In den Sommerferien war die Halle zu und meine Schüler wollten gerne weiter trainieren. Ich hatte einen Studentenjob bei Renault im Ersatzteillager und bin daher jeden morgen den Grasweg runtergelaufen. Dann habe ich das Schild „Lagerfläche zu vermieten“ gesehen. Als ich da angerufen habe, habe ich niemanden erreicht, also habe ich das sechs Wochen lang jeden Tag probiert. Nach dem Motto „nicht aufgeben“. Tatsächlich hat dann irgendwann jemand abgenommen und so kam das Projekt ins Rollen. Es ist jetzt zehn Jahre her, dass ich zusammen mit meinem Partner Hans Buck diese Schule gegründet habe. Wir haben das gut aufgeteilt: Er hat die betriebswirtschaftlichen Dinge im Fokus gehabt und ich eher die inhaltlichen. Der Altersunterschied zwischen uns war auch von Vorteil, so gab es keinen Konkurrenzdruck. Ohne ihn wäre das Center auch nicht so schnell gewachsen.
Im Mai hast du deine Prüfung zum Großmeister abgelegt. Welche Erfahrungen hast du mitgenommen?
SHIN-GYU: Ab einer bestimmten Stufe denkt man gar nicht mehr an Prüfungen. Aber wenn der Meister meint, man sei bereit, dann wird man geprüft. Insofern war die Prüfung nur noch eine Art formaler Akt, natürlich erfordert das immer noch viel Übung. Ich musste zum Beispiel Techniken mit verbundenen Augen machen und die Form, die man läuft, muss sehr präzise sein. Um das Brett, das hochgehalten wird, richtig zu treffen, muss man auch viel Kraft zeigen. Es ändert aber nichts an einem. Der Titel erzielt eine Außenwirkung, die auch sehr wichtig ist, aber für mich hat das eine geringere Bedeutung. Entscheidend hingegen war, dass mein Meister mir gesagt hat, dass der technische Ausbildungsteil jetzt abgeschlossen ist – immerhin nach 30 Jahren. Und jetzt meint er, geht es eigentlich erst richtig los, menschlich zu zeigen, was man verstanden hat.
Was hat dein Meister dir mitgegeben?
SHIN-GYU: Es ist vor allem ein Schritt in die Selbstständigkeit. Jetzt muss ich selber sehen, dass ich diese Kampfkunst weiter entwickle und was für ein Mensch ich werden will. Davon hängt dann ab, ob das, was du tust, Erfolg hat oder nicht. Er hat gesagt: Ein Tiger, egal wie hungrig er ist, frisst kein Gras. Das soll heißen: Viele wollen Tiger sein, aber sobald sie hungrig sind, fressen sie wieder Gras. Das Ideal und die Philosophie, die man gerade vertritt, muss man, egal wie schwierig die Rahmenbedingen gerade sind, trotzdem einhalten. Die Ideale, die ich vor zehn Jahren hatte, als ich diese Schule gegründet habe, die vertrete ich immer noch. Und nur so kann man glaubwürdig sein.
Was kommt auf Neulinge zu, die mit Taekwon-Do anfangen möchten?
SHIN-GYU: Sie würden erst einmal unsere Basics lernen, die Grundtechniken. Dann kommen Koordinationsübungen, beide Gehirnhälften werden zusammengeschaltet. Dehnungen sind am Anfang sehr wichtig und es wird die Basis gelegt, sodass sie relativ schnell gemeinsam an Stunden mit fortgeschrittenen Sportlern teilnehmen können.
Zu Semesterbeginn wollt ihr einen Intensivkurs anbieten. Welcher Gedanke steckt dahinter?
SHIN-GYU: Wir wollen die Studenten einmal zusammen bringen, auch Leute, die vielleicht von außerhalb kommen. So können sie direkt in eine Gemeinschaft aufgenommen werden und erhalten einen intensiven Kurs, damit sie die Basics erlernen und schnell im Unterricht teilnehmen können. Was ich seit dem Bachlor-Master-System erlebt habe, ist dass die Studenten sehr gestresst sind und besonders in den Prüfungsphasen gar nicht mehr zum Training kommen. Auch die Unitage sind oft sehr lang und wir wollen zeigen, welchen Mehrwert Taekwon-Do hat. Ich möchte auch zeigen, dass Taekwon-Do studienbegleitend sein kann. Wenn man zu Beginn des Studiums mit Taekwon-Do anfängt, hat man die Chance, nach fünf bis sechs Jahren mit dem Master auch den schwarzen Gürtel zu erhalten. Man lernt hier auch sonst sehr viel wie zum Beispiel Führungsqualitäten und Durchhaltevermögen. Es ist also eine Art Zusatzqualifikation für das Berufsleben.
Was hat euch gerade am Anfang dazu gebracht, immer wieder zum Training zu gehen?
SHIN-GYU: Meine Eltern.
JULIUS: Bei mir war es auch mein Vater. Gerade mit 13 oder 14 Jahren hatte ich nicht viel Lust. Er meinte zu mir: Guck dir die Gruppe mal an, mit denen du gerade trainierst, dann guck mal wer noch dabei ist, wenn du 18 bist und das durchziehst. Das habe ich dann auch gemacht und außer mir ist aus der Jugendgruppe auch niemand übrig geblieben. Das liegt dann nicht unbedingt am Taekwon-Do, aber viel an den Leuten.
SHIN-GYU: Das war aber in einer anderen Schule. Aus unserer Kindergruppe, sind die meisten noch dabei und bringen den Rest der Familie mit.
GUI: Für mich war es besonders während meiner Masterarbeit wichtig, mal den Kopf frei zu bekommen. Dann bin ich nach einem Tag in der Bibliothek zum Training gegangen und zuhause war ich dann entspannt und stressfrei. Das hilft mir auch jetzt wieder bei meiner Promotion in Schweden.
Wer bei YouTube nach Taekwon-Do sucht, findet schnell sehr viele Videos mit gedrehten Kicks. Was sagt ihr jemanden, der mit dieser Einstellung zum Taekwon-Do kommt?
SHIN-GYU: Kann er alles lernen. Aber wir bauen die Techniken systematisch auf und die Muskulatur bauen wir auf, sodass die Techniken mittelfristig mit einem geringen Verletzungsrisiko geübt werden können. Alles kann man machen, aber die Techniken müssen auch gesund sein.
Warum habt ihr euch dazu entschieden traditionelles, also kontaktloses Taekwon-Do zu machen?
JULIUS: Ich hatte ja keine große Wahl, würde aber auch wenn ich könnte, nicht mehr wechseln.
SHIN-GYU: Man übt auch hier alle Techniken mit voller Kraft, aber man stoppt die Techniken ein oder zwei Zentimeter vor dem Partner ab. Das verlangt viel Koordination und Kontrolle und Körperbeherrschung. Es ist nicht die Intention von Taekwon-Do jemandem Schaden zuzufügen, weder mir noch meinem Trainingspartner.
Welche Philosophie verbirgt sich hinter Kampfkunst, die die Taekwon-Do-Kämpfer stärkt?
SHIN-GYU: Ich beschreibe Taekwon-Do in drei Worten: Gesundheit, Ehrlichkeit und Glück. Das bedeutet, die Basis für alles ist die Gesundheit, das merkt man spätestens, wenn man krank im Bett liegt. Dann denkt man, alles andere ist nicht wichtig, Gesundheit ist wichtig. Wenn man die hat, dann muss man sie pflegen. Durch diesen Sport führen wir Menschen an ihre eigenen Grenzen, wodurch sie sich selber besser verstehen. Damit haben sie die Chance, bewusster zu leben und ehrlich zu sein. Ehrlich zu sich selbst, aber auch zu anderen. Die Wahrheit ist eigentlich das einzige was hält, alles andere ist kurzlebig. Die Ehrlichkeit ist auch wichtig für die Gesundheit. Bei der Arbeit können viele Leute, nur weil sie unter Druck stehen, nicht sagen: „Ich kann das nicht.“ Dabei ist der Mut sich selber oder dem Chef gegenüber zu sagen, dass man überfordert ist, ganz entscheidend. Wenn man gesund und ehrlich sich selbst und anderen gegenüber ist, dann ist das meiner Meinung nach eine gute Voraussetzung, um ein glückliches Leben zu führen. Stress tut man sich immer eigentlich nur selbst an. Taekwon-Do ist insofern nicht nur eine Selbstverteidigung gegen äußere Dinge sondern auch gegen innerliche. Yoga ist natürlich auch sehr gesund, mental lernt man bestimmt auch vieles, aber sich dann körperlich zu verteidigen ist etwas schwieriger.
Inwiefern hat euch die Gemeinschaft geholfen, immer am Ball zu bleiben?
GUI: Ja, das hat auf jeden Fall geholfen. Die Gruppe ist echt toll und motiviert einen. Für mich als Ausländer war es auch sehr wichtig, um Leute kennenzulernen und die Sprache zu verbessern. Ich habe so eine Gruppe gefunden, in der ich mich wohl fühle und nicht nur für das Training hingehe. Mit zwei Freunden aus Schweden bin ich letztes Jahr zum Intensivkurs gekommen und die haben sich auch gefreut, neue Leute kennenzulernen.
SHIN-GYU: Wir haben immer mal wieder Feiern und Feste und die Leute können sich auch mal fächerübergreifend austauschen. Es kann auch immer über Probleme geredet werden, aber nach dem Training hat man den Kopf immer frei, weil man sich auf die Techniken konzentriert. Man muss komplett abschalten, es ist eine Handy-freie Zone, aber dann kommt man raus und ist wieder frisch im Kopf. Das müssen die Studenten schnell begreifen, auch wenn viele denken, dass die gar nicht die Zeit haben, um Sport zu machen. Eigentlich ist es gewonnene Zeit, weil man dann effektiver arbeitet. Wir haben viele Akademiker dabei, die ihre Doktorarbeit geschrieben haben und nebenbei Taekwon-Do machen und alle sind jetzt erfolgreich im Beruf. Das sind immer tolle Bespiele. Wir sind hier auch nicht die Anonymen Taekwon-Doler, sondern jeder kennt hier jeden. Da wir noch in Hamburg einen Standort haben und mit dem Hochschulsport und einer Gruppe in Berlin zusammenarbeiten, gibt es auch immer wieder einen Austausch, der die Leute zusammenschweißt.
Vielen Dank für das Gespräch.
Weiter Infos zum Intensivkurs am 29. Oktober 2017 auf www.kang-center.de.
Bildquellen: Kang-Center
Alexandra studiert Biochemie und Molekularbiologie. Sie ist seit Oktober 2016 beim Albrecht als Redakteurin aktiv, schreibt über Hochschulforschung oder gibt im Gesellschaftsressort ihre Meinung zum Besten und beim Layout und Design der Zeitung hilft sie gerne aus.