Die Vorstellung im Kommunalen Kino in der Pumpe war bereits Tage vor Veranstaltungsbeginn ausverkauft, trotzdem versuchten noch viele Besucher eventuell nicht abgeholte Karten an der Abendkasse zu ergattern. Dass der Andrang für den Film Hitlerjunge Quex so stark war, hat in mir für einen kurzen Moment, den ich in der langen Kassenschlange stand, gemischte Gefühle ausgelöst. War es der Reiz einer verbotenen Frucht, in Form eines „Vorbehaltsfilms“ der Murnau-Stiftung oder eine geniale Werbestrategie der Studierenden? Das Publikum war auf den ersten Blick äußerst heterogen, was für eine breite Werbestrategie spricht.

Das rare Objekt der Begierde
Das rare Objekt der Begierde – Quelle: Christina Srebalus

Eine freie Platzwahl hat seine Vor- und Nachteile, in diesem Fall den Vorteil, dass der Saal bereits zu früher Zeit fast voll besetzt war und der Vorfilm der Studierenden die Aufmerksamkeit erfuhr, die er verdiente. In einer Endlosschleife leitete der ungefähr zwölfminütige Kompilationsfilm die filmische Reise in die Vergangenheit ein, unter anderem durch Sequenzen aus der Wochenschau, Fotos von Mitgliedern der Hitlerjugend sowie Massenchoreographien von Kindern und Jugendlichen.

Die Eröffnung und weiterführende Moderation der Veranstaltung übernahm der Projektleiter und Programmverantwortliche des KoKis, Dr. Eckhard Pabst. Im Zivilrecht könne die Annahme eines Erbes ausgeschlagen werden, beim Filmerbe ginge das jedoch nicht, leitete Dr. Eckhard Pabst seinen Vortrag ein. Die Gesellschaft sei verpflichtet, sich mit ihrer Vergangenheit auseinanderzusetzen, selbst oder gerade wenn es ein dunkles Kapitel der deutschen Filmgeschichte betreffe. Dr. Christian Meyer-Heidemann, Landesbeauftragter für politische Bildung Schleswig-Holstein, war über das Engagement der Studierenden erfreut und wünsche sich, neben der medienwissenschaftlichen Auseinandersetzung, ebenso die Betrachtung der politischen Perspektive, speziell auf aktuelle Ereignisse bezogen. Im Anschluss an Dr. Meyer-Heidemanns Rede folgte ein von den Studierenden aufgenommenes Zeitzeugeninterview. Den Abschluss des Vorprogramms stellte die medienwissenschaftliche Einführung durch Filmwissenschaftler Yorck Beese dar. Yorck Beese begann seinen Vortrag mit der Grundfrage, wie man sich diesem als „Vorbehaltsfilm“ eingestuften Filmerbe gegenüber verhalten sollte. Wertfrei wurde den Besuchern das analytische Werkzeug zur Dekonstruktion des Films an die Hand gegeben. Darauf folgte eine kurze Biographie zu Steinhoff, um dann immer konkreter und detaillierter in die Filmanalyse einzusteigen. Sein Fazit ist, dass Hitlerjunge Quex aus filmwissenschaftlicher Perspektive „eigentlich“ gut gemacht sei, jedoch durch seine indoktrinierenden Motive die filmische Illusion zerstöre. Das ist nicht verwunderlich, denn Hitlerjunge Quex war nicht als Unterhaltungsfilm gedacht, er sollte ein junges, speziell männliches Publikum mobilisieren der Hitlerjugend beizutreten.

Gespräch
Diskussionsbedarf im Kinosaal – Quelle: Christina Srebalus

Obwohl ich den Film bereits einmal im Rahmen eines filmwissenschaftlichen Seminars gesehen habe, war es auf großer Leinwand in einem voll besetzten Kinosaal etwas vollkommen anderes. Ich teilte die Sorge einer Besucherin, welche sie in der folgenden Filmbesprechung erleichtert aussprach: „Zum Glück gab es vom Publikum keine Reaktionen in den ‚falschen‘ Momenten.“ Die Wirkung des Films auf das Publikum, während und nach der Vorstellung, war unterschiedlich, doch für eine Kinovorstellung per se eine eher ruhige Atmosphäre. Obwohl der Film aus gegenwärtiger Perspektive über einige absurd wirkende Sequenzen verfügt, blieb der Saal bis auf wenige verhaltene Laute still. Nachdem das letzte Bild über die Leinwand gelaufen war und das Licht anging – einen Abspann hat der Film nicht – wurde der Kinosaal von einigen stumm verlassen, andere blieben ebenso stumm sitzen. Nach einer Weile entstand jedoch dieses typische leise Grundmurmeln, bis auch dieses immer noch ruhige Geräusch schlussendlich durch die anschließende Filmbesprechung durchbrochen wurde. Denn zur Besprechung war ein verhältnismäßig großer Teil der Besucher in den Kinosaal zurückgekehrt. Dr. Pabst und Yorck Beese übernahmen wieder die Moderation und brauchten das Publikum nicht lange zu bitten. Die diskutierfreudige Gruppe lebte von ihrer heterogenen Zusammensetzung, sodass eine spannende Diskussion über den Film per se, den möglichen Umgang mit „Vorbehaltsfilmen“, eigene Erfahrungen aus der Vergangenheit und über gegenwärtige Ereignisse stattfinden konnte. Nach ungefähr einer dreiviertel Stunde beendete Dr. Pabst die Diskussion, welche ebenso gut noch hätte weitergehen können.

Die Eröffnungsveranstaltung war ein fantastischer Auftakt der Filmreihe, welches nicht zuletzt in der Ticket-Nachfrage zu ersehen ist. Nachdem die Veranstaltung beendet war, gingen die Besucher nicht wie sonst üblich auf die Toilette, sondern direkt zur Kasse, um Karten für die folgenden Vorstellungen zu kaufen. Die Vorbereitungszeit von über einem halben Jahr, die die Medienwissenschafts-Studierenden und Dozent Dr. Eckhard Pabst investiert haben, spiegelt sich in einer guten Struktur sowie einem ausführlichen und sorgsam erarbeiteten Rahmenprogramm wider.

Fotos: Christina Srebalus

Autor*in

Marc studierte Politik, Soziologie und Medienwissenschaft in Kiel. Für den ALBRECHT schreibt er seit 2015 insbesondere für das Kulturressort und dessen Filmsparte KinoKatze.

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