Ein Kommentar von Alexandra Tietze
99 Prozent der Wissenschaftler*innen bestätigen … langsam werden wir müde, das zu wiederholen. Politiker*innen, die sich der allgemeinen, wissenschaftlichen Meinung gegenüber verschließen, sind ein globales Krankheitsbild unserer ach so gebildeten Gesellschaft. Dabei zeigen die Betroffenen recht unterschiedliche Symptome: Aggressiv begegnen Choleriker*innen den unliebsamen ‚Fake-News‘, während der genügsame Typ sein Wohlwollen zunächst vortäuscht, den Verstand in Sicherheit wiegt, um ihn nach monatelanger Beratung doch zu enttäuschen.
Dass das Klimaschutzpaket trotz langer Debatten nicht den Empfehlungen von Wissenschaftler*innen entspricht, darf daher nicht verwundern. Es gibt kein Tempolimit von 130 km/h – dank zweifelhafter Argumentation über die Freiheit des Individuums. Herbe Rückschläge für den leidenden Planeten und seine naiven Bewohner*innen, die Hoffnung auf die Klimakabinett-Therapie setzten.
Eine andere Art mit wissenschaftlichen Fakten umzugehen, stellt die EU mit Ursula von der Leyen vor: Nichts hören, nichts sehen, nichts denken – offen und ehrlich bringt sie ihr Desinteresse an der Wissenschaft zum Ausdruck, indem kein*e EU-Kommissar*in für Forschung im neuen Kabinett vorgesehen ist: Der prägnante Posten für Innovation und Jugend wird die sperrigen Titel Forschung, Wissenschaft und Innovation und Bildung, Kultur, Jugend und Sport ersetzen. Auch der Posten Klimapolitik und Energie wird zu einem schlichten Energie-Posten, welcher die Exekution der vergangenen Jahre treffend beschreibt.
„Eine Union, die mehr erreichen will“ heißt die 28-seitige politische Leitlinie von der Leyens. Gemeint sind selbsterklärend gesteckte Ziele der Wirtschaft (58 Wortnennungen) – Forschung (4 Nennungen) wird großzügig außer Acht gelassen. Der hier beschriebene Therapieansatz zielt darauf ab, die Wissenschaft schlicht totzuschweigen. Fatalerweise wird dem Planeten bei stetiger Verweigerung der Politik der Forschung gegenüber bald ein ähnliches Schicksal widerfahren.
Alexandra studiert Biochemie und Molekularbiologie. Sie ist seit Oktober 2016 beim Albrecht als Redakteurin aktiv, schreibt über Hochschulforschung oder gibt im Gesellschaftsressort ihre Meinung zum Besten und beim Layout und Design der Zeitung hilft sie gerne aus.