In jeder Minute nimmt die Anzahl der lebenden Menschen um etwa 159 zu, so die Hochrechnung der UN Population Division. Im Jahr wächst damit die Weltbevölkerung etwa um die Einwohnerzahl Deutschlands. Für das Jahr 2100 wurden im Juli 11,3 Milliarden Erdbewohner angenommen. Bedingt wird das Wachstum nicht nur durch hohe Geburtenraten, sondern durch die verlängerte Lebenserwartung dank des Fortschritts und des verbesserten Zugangs zu Medizin. Die Prognosen mögen alarmierend klingen, sie werden jedoch mittlerweile als Zenit des Bevölkerungswachstums gesehen, da die Anzahl der lebenden Menschen nach Beginn des nächsten Jahrhunderts stagnieren soll.

Manche kritisieren die Prognose der UN jedoch als zu optimistisch. Der Ökonom Thomas Robert Malthus sagte im Jahre 1798 in seiner Bevölkerungstheorie die „Bevölkerungsfalle“ vorher, also den Kollaps der Welt unter der Masse ihrer Bevölkerung. Seine radikalen Anhänger, Extremisten in ihrer Meinung, finden als präventive Maßnahme einen aktiven Eingriff zur Dezimierung angemessen. Verschwörungstheoretiker hingegen glauben, dass die Welt sich durch immer häufigere Epidemien versucht selbst zu reinigen, oder vertreten die Meinung, die Machteliten würden durch Krieg, manipulierte Lebensmittel, Krankheiten und Mittel zur Unfruchtbarkeit aktiv die Entvölkerung anstreben.

Auch einige, die das Elend an bevölkerungsreichen Orten gesehen haben, schreien nach Entlastung. Sie verweisen dabei auf globale Probleme: Weltweit hungern Menschen und leben weit unter der Armutsgrenze, in Megastädten bilden sich Slums. Gewässer werden überfischt, Wasser- und Rohstoffressourcen ausgeschöpft und Wälder abgeholzt, was enorme Umweltschäden verursacht. Es ist allerdings kein kausaler Zusamenhang zwischen diesen Problemen und der zunehmenden Bevölkerung bekannt. Sie basieren viel mehr auf einer dramatischen Ungleichverteilung von Ressourcen, Menschen und finanziellen Mitteln.

Eine potentielle Überbevölkerung wird dennoch weiterhin als Bedrohung unseres Lebensraumes dargestellt, da sie den Industrieländern die Möglichkeit bietet, den Ursprung globaler Probleme auf die Entwicklungsländer zu schieben. Überbevölkerung beschreibt den Zustand, in dem die Anzahl der lebenden Wesen die Tragfähigkeit ihres Lebensraums übersteigt. Die Berechnung der Tragfähigkeit ist allerdings abhängig von der Nachhaltigkeit der Lebensweise und dem gewünschten Lebensstil und somit subjektiv und veränderbar. Will man die Tragfähigkeit weiterhin garantieren, bieten sich zwei Ansätze an.  Zum einen kann die Lebensweise nachhaltiger gestaltet werden. Um den größten Schaden zu begrenzen, den besonders die Industriestaaten durch ihr Produktionssystem zu verantworten haben, werden nun gemeinsame Lösungen wie der Klimavertrag von Paris angestrebt. Zum anderen würde eine Verminderung der Ansprüche an den Lebensstil Erleichterung bringen. Pläne hierzu müssten von den wirtschaftlich starken Ländern ausgehen, in denen der Lebensstandard durch Einsparungen nicht sinken würde. Wenn in den Industriestaaten von Überbevölkerung gesprochen wird, sollte bedacht werden, dass die Einschränkung der Tragfähigkeit unseres Planeten durch ihre fortschrittliche Konsumgesellschaft ein vielleicht größeres Problem darstellt als die Zunahme der Bevölkerung in den Entwicklungsländern.

Ein wunderbares Beispiel für die Schieflage der weltweiten Verteilung von finanziellen Mittel, Gütern und vor allem Interessen ist der Betrag, der nötig wäre, um  Mädchen und Frauen weltweit Verhütung zu ermöglichen. Die Initiative Weltbevölkerung schätzt die Kosten auf 8,5 Milliarden Euro. Diese Summe entspricht interessanterweise dem Reingewinn, den Apple im vierten Quartal des Jahres 2015 erwirtschaftete. Solche Vergleiche werfen die Frage auf, wer für wen warum verantwortlich ist. Politisch und sozial sollte auf lokaler und regionaler Ebene auf die Bedürfnisse der Anwohner eingegangen werden, gleichzeitig muss aber auch auf der Länder-, kontinentalen und globalen Ebene Rücksicht genommen und Hilfe zugesichert werden. Die nationalen Probleme weichen aber stark von den globalen ab, was zu Konflikten in der Entwicklung von Maßnahmen führt, die den Problemen der Menschheit entgegen wirken sollen. So leiden Industrieländer wie Deutschland an Überalterung und Geburtenrückgang sowie einer ungleichen Generationenverteilung in Stadt und Land. Statt mangelnder Gesundheitsversorgung ist hier die Überlastung des Gesundheitssystems durch die immer höhere Lebenserwartung eine Bedrohung. Ein Beispiel: In den letzten Jahren haben Pharmaunternehmen neue Krebsmedikamente auf den Markt gebracht, die den Betroffenen wenige Monate, und selten sogar ein Jahr Lebenszeit schenken. Eine Monatspackung Nexavar kann beispielsweise das Leben von Leber-, Nieren-, oder Schildrüsenkrebskranken im Schnitt um 2,8 Monate verlängern. Doch der stolze Preis von 4 740,10€ Euro könnte über 130 Kindern in Entwicklungsländern die notwendigsten Impfungen garantieren, die laut der Impfallianz Gavi etwa 35,7€ Euro kosten würden. Schon innerhalb Deutschlands stoßen die hohen Kosten eine ethische Debatte um das Ausmaß medizinischer Versorgung an, im globalen Vergleich wirken sie geradezu inadäquat.

Statt des Bevölkerungszuwachses sollte also die Ungleichheit zwischen Staaten und Bevölkerungsgruppen angegangen und Verteilung von Aufgaben und Verantwortung präzisiert werden. Da die Prognose der UN einen Wert der Weltbevölkerung vorhersagt, der langfristig stabil bleiben kann, sollte es das Ziel der Entscheidungsträger sein, dieser Anzahl von Menschen Sicherheit, Grundrechte und Lebensgrundlagen garantieren zu können.

Autor*in

Studiert seit 2013 Psychologie in Kiel, und frönt dem ALBRECHT seit dem Wintersemester 2014/15, von 2015 bis 2017 als Bildredakteurin und von Januar 2017 bis Januar 2018 als stellvertretende Chefredakteurin.

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