Wer nach Israel kommt, den erwartet ein typisches Stadtbild: Orientalische Basare und Märkte, moderne Hochhäuser neben alten Häusern, Kleinkünstler und Menschen jeder Art. Säkulare Israelis, Männer mit Kippa, orthodoxe Juden und Jüdinnen, Araber und Soldat*innen in grünen Uniformen und einem Maschinengewehr um die Schulter. Die vielen Soldat*innen sind für Deutsche ein ungewöhnlicher Anblick. Zwar werden Soldat*innen ab und an in der Stadt oder am Bahnhof gesichtet, doch sind sie unbewaffnet. So manche würden in Deutschland vorsichtshalber das Einkaufszentrum verlassen, wenn ein Soldat mit Maschinengewehr dort hindurchschlenderte. In Israel ist das Normalität.
In Israel gibt es eine der strengsten Wehrpflichtregulierungen der Welt. Fast jeder junge Israeli wird zum Wehrdienst eingezogen. Männer müssen drei Jahre zum Militär, Frauen müssen 21 Monate Wehrdienst leisten. Israel ist einer der wenigen Staaten der Erde, der den Wehrdienst auf beide Geschlechter ausgedehnt hat. Es gibt nur wenige Ausnahmen: Alle nichtjüdischen, schwangeren oder verheirateten Frauen werden nicht eingezogen, ebenso israelische Araber, denen jedoch ein freiwilliger Dienst in der Armee offensteht. Bis 2014 mussten orthodoxe Juden, die in der Talmudschule unterrichtet wurden, nicht am Wehrdienst teilnehmen. Ein Urteil des israelischen Verfassungsgerichtes kippte diese Regelung aber. Darauf folgten heftige Proteste ultraorthodoxer Juden. 2015 wurde das beschlossene Gesetz dazu jedoch wieder zurückgenommen, sodass der Militärdienst für Ultraorthodoxe freiwillig ist. Generell ist es schwierig, den Dienst an der Waffe zu verweigern. Rechtlich ist es nur Frauen erlaubt, der Wehrpflicht aus Gewissensgründen nicht nachzukommen und einen zivilen Ersatzdienst (sherut leumi) von ein oder zwei Jahren zu leisten. Die Verweigerung des Militärdienstes ist für Männer ein langwieriger Prozess mit mehreren Anhörungen. Am Ende muss sich der Verweigerer vor einem Gewissens-Komitee verantworten. Darauf folgen eventuell Gerichtsverfahren, in welchen der Verweigerer schlussendlich fast immer vom Wehrdienst befreit wird, allerdings unter Umständen mit einer Haftstrafe von bis zu drei Jahren bestraft werden kann. Die Alternativen zur Verweigerung innerhalb der Streitkräfte sind meistens Posten außerhalb der Kampfeinheiten, etwa beim Erteilen von Zivilschutzunterricht an Schulen. Viele der Verweigerer hätten nichts gegen einen Einsatz zur Verteidigung Israels, lehnen aber die Besatzung und Unterdrückung der Palästinenser ab, denn dort werden die jungen Soldat*innen hauptsächlich eingesetzt. Die Tendenz zur Verweigerung würde steigen, offizielle Zahlen des Militärs dazu gibt es aber nicht.
Während den Wehrdienst verweigernde Frauen mit wenig Konsequenzen rechnen müssen, werden Männer, die den Dienst an der Waffe zurückweisen wollen, gesellschaftlich geächtet. In Israel ist es eine Selbstverständlichkeit, zur Armee zu gehen. Auch wird das Militär beinahe schon heroisiert. In fast jedem israelischen Souvenirladen gibt es T-Shirts und Sweatshirts mit den Logos der Israeli Defence Forces (IDF). Die NGO Breaking the Silence, die Missstände in der IDF aufzeigt, wird für ihre Arbeit heftig kritisiert. Selbst der ehemalige Verteidigungsminister Mosche Jaalon nannte sie Verräter. Wenn junge Israelis gefragt werden, ob sie lieber ihren Wehrdienst ableisten oder ein Jahr verreisen wollen, so wie sich auch viele deutsche Abiturient*innen Zeit für ein Gap Year nehmen, dann wird die Frage meist mit „Wehrdienst natürlich!“ beantwortet. Für junge Israelis gibt es kaum Alternativen. Schließlich müsse das Land verteidigt werden. Tatsächlich fühlt sich Israel durch Nachbarstaaten wie den Libanon sowie Terrororganisationen wie die Hisbollah oder die Hamas bedroht. Für viele steht die Verteidigung und Erhaltung eines jüdischen Staates an erster Stelle. Auch deshalb haben Juden und Jüdinnen aus dem Ausland Interesse daran, einen Wehrdienst beim IDF abzuleisten. Solche jüdischen Nichtisraelis haben die Möglichkeit, den für sie vorgesehenen sogenannten Machal-Einheiten beizutreten. Viele jugendliche Israelis sind auch bei den Pfadfindern aktiv. Was in Deutschland kaum jemand macht, ist in Israel schon fast eine Selbstverständlichkeit, denn die Zeit bei den Pfadfindern soll auf den Wehrdienst vorbereiten.
Für viele junge Israelis ist es darüber hinaus vorstellbar, nach ihrem Dienst in der IDF eine militärische Karrierelaufbahn einzuschlagen. In Deutschland wäre es verwunderlich, wenn ein vierzehnjähriges Mädchen, das auf Rosa steht und Pferde mag, sagt, sie wolle Generälin werden. Für nicht wenige junge Israelis ist das eine vorstellbare Karriere, auch, weil es nach dem verpflichtenden Wehrdienst, der vergleichsweise sehr hart ist, im Dienstalltag lockerer wird. So wird dann das Tragen von privatem Schuhwerk erlaubt und militärisches Grüßen ist unüblich. Dennoch wird kritisiert, dass der Wehrdienst die jungen Menschen verrohe. Als Beispiel dafür kann ein Fall aus dem März dieses Jahres angeführt werden: Zwei Palästinenser griffen israelische Soldaten mit Messern an. Einer der Soldaten soll einen der Angreifer in den Kopf geschossen haben, obwohl dieser verletzt am Boden lag. Der Fall wurde untersucht. Trotz solcher Vorfälle wird der israelischen Armee sehr großes Vertrauen geschenkt. Die IDF ist für sehr viele Israelis ein Heiligtum, welches unfehlbar ist. Für Deutsche und viele andere Völker ist dies unverständlich. An der Haltung der Israelis wird sich aber vermutlich in naher Zukunft nichts ändern.
Titelbildquelle: Israeli Defence Forces
Rune ist 21 und studiert seit 2013 an der CAU Politikwissenschaft und Skandinavistik. Seit 2014 ist er beim ALBRECHT dabei. Nebenbei ist er auch beim Campusradio als Nachrichtenredakteur tätig.