Ein Kommentar von Sophie Luisa Dieckmann

„Und die beiden Mädchen haben dann mit dem Schulleiter gesprochen.“ Dieser Satz stammt aus der Zusammenfassung eines Kommilitonen, geäußert in einem Seminar zum Thema „Führen im schulischen Kontext“. Bei den vermeintlichen Mädchen handelte es sich um zwei weibliche Lehrkräfte, die beide eine Führungsrolle in der betreffenden Schule inne haben. Außer mir hat niemand auf die Äußerung reagiert, und sei es nur verwirrt oder irritiert, und den Kommilitonen auf die schlichtweg falsche Zuweisung hingewiesen.

Im Nachhinein glaube ich, dass den meisten das Wort „Mädchen“ gar nicht aufgefallen ist und dass bei den meisten in diesem Falle nicht sofort die innere rote „Political Correctness“-Warnlampe anschlug, die doch meist so zuverlässig auf rassistische und nicht gender-adäquate Sprache reagiert. Die Frage ist nur: warum nicht? Ist doch eigentlich deutlich, dass die Nutzung von „Mädchen“ in dem beschriebenen Kontext ein Kleinmachen, ein Verniedlichen darstellt, um männliche Dominanz zu signalisieren.

Die Antwort liegt in unserem alltäglichen Gebrauch des Begriffs „Mädchen“ und insbesondere dem seiner kleinen Schwester „Mädel“. Einst nach dem zweiten Weltkrieg vorerst aus dem deutschen Sprachgebrauch gestrichen, war das Wort doch semantisch eng geknüpft an Den Bund deutscher Mädel und damit Teil des so genannten „Wortschatzes der Gewaltherrschaft“ (Wörterbuch der Unmenschen, 1957), erlebt die Bezeichnung seit den 2000ern eine Wiederbelebung.

Das Wort „Mädel“ ist eigentlich das Diminutiv für „Magd“, das heute aber als Bezeichnung für eine Jugendliche verstanden wird. Die Benutzung geht dabei weit über die eigentlichen Bedeutungsgrenzen hinaus. So bezeichne ich meine näher an der Mitte Zwanzig als an süßen 16 Jahren liegenden Freundinnen als „Mädels“, in der Uni lässt sich die Bezeichnung unter Studierenden an jeder Ecke vernehmen und selbst der Abend unter Frauen, egal welchen Alters, wird als „Mädelsabend“ bezeichnet. Doch warum tun wir das?

Silhouetten Frauen // CC Der Grund liegt darin, dass wir uns den gesellschaftlichen Normen und Vorstellungen davon, was es heutzutage bedeutet, eine Frau zu sein, beugen. Denn die Benutzung von „Mädel“ für eine erwachsene Frau impliziert Jugendlichkeit, einen perfekten, makellosen Körper und Unschuld. Mädels sind im Vergleich zu Frauen für jeden Spaß zu haben, sind neugierig, aber auch nicht zu erfahren. Sie brauchen jemanden, der sie an die Hand nimmt, um ihnen die große weite Welt zu zeigen. Sie sind so wie die Kandidatinnen in Germany’s Next Topmodel, die bezeichnender Weise von ihrer Ziehmutter und Idol Heidi Klum fast ausschließlich „Mädels“ und „Mädchen“ genannt werden.

Dieses Phänomen beschränkt sich nicht alleine auf das weibliche Geschlecht, sondern ebenfalls Männer werden häufig als „Jungs“ oder „Boys“ bezeichnet. Männer sind ebenso einem gesellschaftlichen Idealbild und dem Jugendwahn unterworfen. Doch müssen sie sich weder in „Gentlemen“ für den Kinoabend verwandeln noch sich für die „Boys Night Out“ entscheiden, um einem vom Kinobetreiber als exklusiv „männlich“ deklarierten Abend zu verbringen (was wiederum ein Thema für sich ist). Sie gehen lediglich zum „Männerabend“ ins Kino. Dieses kleine, banale Beispiel aus der Konsumgesellschaft zeigt jedoch sehr gut, wo der Unterschied zwischen den Geschlechtern liegt: Männer dürfen auch solche sein; es ist gesellschaftlich anerkannt, dass sie sich vom „Jungen“ emanzipieren, dass sie reifer werden, Falten und Geheimratsecken bekommen. Für Frauen ist dies in unserer Gesellschaft nicht vorgesehen. Sie haben die Aufgabe stets jugendliche „Mädels“ zu bleiben, mit aller Kraft ihren Körper den Maßen von Sechzehnjährigen zu unterwerfen und fröhlich in die Welt zu gucken.

Indem wir Frauen den Begriff so selbstverständlich benutzen, machen wir uns klein gegenüber, reduzieren uns auf gesellschaftliche gewünschte Äußerlichkeiten und Charaktereigenschaften und verfallen ins Kindchenschema. Jedes Mal reproduzieren wir hierdurch die noch immer herrschenden Geschlechternormen. Es entsteht eine von Frauen selbst erzeugte Ungleichheit. Sprache bildet Realität ab, gleichzeitig schafft sie Realität. Jede Frau muss für sich entscheiden, ob sie sich mit dem Begriff „Mädel“ repräsentiert fühlt. Ich, für meinen Teil, werde in Zukunft vorsichtiger im Umgang mit diesem kleinen netten Wort sein und versuchen, die Frauen in meinem Umfeld öfters auch als solche zu bezeichnen. Denn nur so ändert sich hoffentlich irgendwann dieser Missstand.


Titelbild: Die GNTM-Teilnehmerinnen der vierten Staffel – ein Sinnbild des Begriffs „Mädels“? // Quelle: ds 1987

Autor*in

Sophie studiert Germanistik und Kunst. Seit April 2015 ist sie Teil der Redaktion des ALBRECHTs. Sophie ist für den Bereich 'Zeichnungen' zuständig und greift hier auch gerne selbst zum Stift.

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