Kürzlich gewann die nationalkonservative Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) in Polen die Parlamentswahl. Die PiS ist unter anderem gegen eine Quote zur Verteilung der Flüchtlinge in Europa, will die Todesstrafe einführen und betont die nationale Souveränität Polens. Ferner fordert sie in der EU-Politik so genannte Opt-outs, also Ausnahmeregelungen für ein bestimmtes EU-Mitglied in Bezug auf bestimmte Klauseln oder Regelungen. Beispiel Währung: Dänemark und Großbritannien haben verhandelt, den Euro nicht als Währung einzuführen. Unter den 28 Mitgliedsstaaten der EU ist Polen nicht das einzige Land, in dem rechtspopulistische oder rechtsextreme Parteien im Parlament oder in der Regierung sitzen: In fünf EU-Ländern sind rechte Parteien an der Regierung beteiligt, in zwölf weiteren EU-Staaten sitzen Rechtspopulisten oder Rechtsextreme im Parlament.
Fast alle dieser Parteien sind islamfeindlich, kritisch gegenüber Pluralismus, gegen Minderheiten wie Homosexuelle oder Roma und EUskeptisch. Besonders durch die jetzige Flüchtlingskrise erleben rechte Parteien gerade einen deutlichen Aufschwung. Die ungarische Fidesz von Viktor Orbán hat im Parlament 67 Prozent der Sitze und stellt 57 Prozent der ungarischen Europaabgeordneten. Im Sommer gewann die rechtspopulistische Dänische Volkspartei bei der Parlamentswahl rund 21 Prozent. Obwohl sie nicht an der Regierung beteiligt ist, hat sie ein starkes Stimmgewicht und kann somit auf die EU- und die Asyl- und Ausländerpolitik Druck ausüben. So lehnt die Dänische Volkspartei die EU ab, möchte wieder Grenzkontrollen und ein schärferes Einwanderungsgesetz. Und in Schweden, der sozialdemokratischen Hochburg schlechthin, sehen die Umfragen die rechtspopulistischen Schwedendemokraten bei rund 25 Prozent, womit sie stärker als die Sozialdemokraten wären, berichtet die Zeitung aftonbladet.
Doch warum sind diese Parteien EU-kritisch? Dr. Wilhelm Knelangen, Politikwissenschaftler an der CAU mit dem Forschungsschwerpunkt Europäische Integration, sagt dazu: „Sie instrumentalisieren den Eindruck der Bürger, dass die EU undurchschaubar ist und sich um die wahren Probleme der Menschen nicht kümmert.“ Dem werde das Zerrbild eines überschaubaren und menschenfreundlichen Nationalstaates gegenübergestellt. Die Frage ist aber, ob die Rechtspopulisten Morgenluft wittern und die EU gemeinsam zum Scheitern bringen könnten. Knelangen meint, dass das in gewisser Weise schon passiere. Einerseits sei es einigen rechtspopulistischen Parteien gelungen, in den Mitgliedstaaten Regierungsverantwortung zu übernehmen und so direkt einen europakritischen Kurs durchzusetzen. Aber auch dort, wo sie nicht in der Regierung sind, haben sie oft großen Einfluss, da die Parteien der Mitte ihre Politik nun im Schatten der rechtspopulistischen Konkurrenz formulieren. Dies könne man in der aktuellen Flüchtlingskrise sehr gut erkennen, so Knelangen: „Die Regierungen schauen in erster Linie darauf, wie europäische Entscheidungen vom heimischen Publikum wahrgenommen werden, weil sie befürchten, eine solidarische Politik Europas stärke den rechten Rand zu Hause.“ Die Folge sei, dass die EU jetzt, wo gemeinsame Antworten nötig seien, nicht die Kraft zum Handeln aufbringe.
Was könnte aus der EU werden, wenn Rechtspopulisten stärker werden? Wird die EU zu einem Projekt, bei dem sich jeder Mitgliedsstaat das nimmt, was er will? Oder wird die EU sogar ganz scheitern? Knelangen: „Das Erschreckende ist, dass man keine dieser Antwortalter nativen ausschließen kann.“ Auch ein Scheitern Europas sei nicht mehr undenkbar. Wichtig sei, ob die EU zu gemeinsamer Politik in der Flüchtlingskrise zurückkehren könne. Denn diese sei in mehrfacher Hinsicht eine Herausforderung: Es gehe um Humanität, es sei eine Frage der Solidarität und von nationaler Identität. Nicht zuletzt gehe es auch um Handlungsfähigkeit. „Mit anderen Worten: Es geht darum, was die EU ist und was sie sein will“ so Knelangen. Diese Kernfrage sei nie endgültig geklärt worden: „Jetzt merken wir, dass politische Herausforderungen da sind, die man nur bestehen kann, wenn man von einer gemeinsamen Wertebasis aus agiert.“ Ob die EU, wie sie immer wieder behauptet, eine Wertegemeinschaft sei, könne man in Frage stellen.
Den Erfolg rechter Parteien sieht Knelangen nicht als vorübergehendes Phänomen. Es sei nicht auszuschließen, dass die Entfremdung von den politischen Eliten in der Bevölkerung stark bleibe. In mehreren EU-Ländern hätten rechte Parteien schon jetzt bei mehreren Wahlen hintereinander Sitze im Parlament erhalten und seien damit nicht nur vorübergehende Protestparteien. Wer die EU in einem demokratischen und bürgernahen Sinne weiter entwickeln wolle, habe es „gegen die Vereinfacher und Dramatisierer“ schwer. Zum Abschluss merkt Knelangen an: „Wir müssen deshalb weiter streiten und für die Idee Europas eintreten, wenn wir die EU weiterhin haben wollen. Sonst können wir nicht sicher sein, dass die EU bleibt, jedenfalls nicht in der Form, wie wir sie heute haben.“
Rune ist 21 und studiert seit 2013 an der CAU Politikwissenschaft und Skandinavistik. Seit 2014 ist er beim ALBRECHT dabei. Nebenbei ist er auch beim Campusradio als Nachrichtenredakteur tätig.